Benzini kommt zu Besuch

Wir hatten gerade zu Mittag gegessen und zogen uns in den Salon auf einen Espresso zurück, da schellte es. Frau Moll war sofort auf dem Posten: Ich bin ein Hütehund! Wer da?? turnte sie wütend durch den Flur.

„Der Jimmy?“ schätzte ich.

„Ja, wahrscheinlich“, sagte die Gräfin.

Jimmy, der nebenan wohnte, kam schon mal rüber, weil er eine Kleinigkeit brauchte, Zucker, die neue TV-Zeitung, irgendwas, und dagegen war auch nichts einzuwenden – bis auf eines: Wir wollten unsere Ruhe haben, nach dem Essen.

Die Gräfin stand am Türspion. Sie gab sich alle Mühe, konnte die Person an der Haustür aber nicht identifizieren. Jemand lehnte am Eingang und klingelte und klingelte. Schliesslich öffnete sie. Erst die Wohnungstür, dann die Haustür. Auf Verdacht. Jemand begehrte Einlass.

„Nee..! Der Benzini!“ hörte ich sie ausrufen. „Is nich wahr!!“

Ich stellte die zwei dampfenden Espresso-Becher ab und machte kurzerhand drei kleine Tässchen draus, während Frau Moll kläffend um Benzini herumsprang. Sie kannte den vierschrötigen Kerl nicht, der da plötzlich in der Küche auftauchte, er war ihr unbekannt, und auch ich hatte keine Ahnung, wann wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Zehn Jahre mussten es her sein.

„Benzini!“

Ich schmiss meine Hand in seine Pranken. Groß verändert hatte er sich nicht. Immer noch der alte Panzerknacker.

„Glumm, du Arsch!“

*

Immerhin, seit er meinem Blog im Internet entdeckt hatte und regelmäßig durchstöberte, standen wir per Mail in Kontakt. So hatte ich erst im Nachhinein erfahren, dass er ein Jahr zuvor auf der Intensivstation gelegen hatte, mit ruinierter Bauchspeicheldrüse.

Da ich mit medizinischen Fachbegriffen grundsätzlich auf Kriegsfuß stehe, baue ich ständig Brücken. Suche ich etwa in meinem verquasten Hirn nach dem Wort Bauchspeicheldrüse, gehe ich den Umweg über Litfasssäule. Warum, ich weiss es nicht, es klappt aber ganz gut.

Meistens nicht.

„Das Ding hat der Meckenstock doch schon seit dreissig Jahren kaputt“, sagte ich, „die Litfass..drüse.“

„Weiss ich. Der darf schon seit Ewigkeiten keinen Alk mehr saufen, er müsste längst hinüber sein, aber was ist? Meckes steht immer noch am Tresen, der Haderlump.“

Zweieinhalb Stunden blieb Benzini. Er kam wie eine stabile Windhose über unsere Küche. Als wäre eine Gewitterfront durch unser Heim gezogen, als hätte es Bimssteine von der Decke geregnet. Zwischendurch wurde er immer mal wieder krebsrot im Gesicht vor lauter Aufregung und wüstem Erzählen, während die Gräfin und ich immer bleicher und schrumpeliger wurden vom Zuhören.

Und als er längst über alle Berge war, („Kinder, war schön bei euch, aber ich muss jetzt los, Geld verdienen!!“), hatten wir immer noch Rückkopplungen im Ohr, und die Gräfin setzte eine Kanne Arznei-Tee auf.

„Tu Baldrian rein! Mehr Baldrian!“

*

Ich hatte vergessen, wie laut Benzini ist, wenn er seine Stories raushaut, und dass nicht jede mit einer befreienden Pointe endet. Nun empfinde ich Lautstärke generell als Angriff auf meine Person, es macht mich aggressiv, wenn die Leute brüllen, andererseits kommt es schon sehr darauf an, wem man die Türe aufmacht. Muss ja auch mal sein. Dass unser provinzielles kleines Bohemiendasein frischen Wind abkriegt vom dreißig Kilometer entfernten Großstadtleben.

Seltsam: Auch wenn es in der Küche zweieinhalb Stunden lang zugeht, als würden immer neue klobige Phon-Nuggets ausgehoben und übers Laufband geschickt, bleibt Frau Moll, sonst doch hypernervös, wenn es um fremden Männerbesuch geht, die Ruhe selbst. Platziert sich genau in der Mitte zwischen der Gräfin und mir, die Pfoten brav nebeneinander wie die Sphinx von Gizeh, nur eben zottelig, schmutzstarrend und aufmerksam horchend:

Was will der Onkel?

*

„Mann, Glumm, ich frag mich immer, wo du all die Geschichten von früher hernimmst. An was du dich alles erinnerst.“

„An nicht mehr wie du. Aber wenn man sich mit Leuten unterhält, weiß der eine irgendwas, der andere weiß was anderes, und hinterher wird alles zusammengeschmissen und umgerührt, mit dem dicken Storylöffel. Aber erzähl mal. Was war mit der verdammten Litfasssäule..“

Bauchspeicheldrüse. Was ein Wort. Ein Dreifach-Hammer. Bauch, Speichel, Drüse. Hochkomplex, und zuerst wussten auch die Ärzte nicht, was mit Benzini los war. Er fühlte sich schlecht, er hatte keinen Appetit, war lustlos.

„Nicht mal den Weibern bin ich noch nachgestiegen.“

Er stellte verzweifelt das Rauchen ein. Er reduzierte das Trinken, („nur noch guten Wein“), das Ergebnis: eine dicke fette Depression.

„Da sitzt man nichtsahnend vorm Fernseher und plötzlich springt einen die Traurigkeit an, wie ein Tier aus dunkler Ecke, und man kriegt den Hintern nicht mehr hoch.“

Er starrte stundenlang zur Decke, er konnte sich nicht aufraffen, zur Arbeit zu gehen, alles war lästig.

„Nicht mal den Weibern bin ich noch nachgestiegn!“

„Das sagtest du bereits.“

„Nicht mal Geldverdienen machte noch Spaß!“

Der Arzt diagnostizierte, was Ärzte bei Privatpatienten seines Kalibers gerne diagnostizieren: Burn-Out-Syndrom. Er verschrieb Tranquilizer. Da in seiner Familie Darmkrebs zum guten Ton gehört, riet ihm der Doc eine Darmspiegelung an. Warum nicht. Bei der Kamerafahrt durch den Dickdarm passierte es: Ein Stück der winzigen Videokamera brach ab.

„Voll die Arschkarte gezogen!“ brüllt Benzini.

„Ist nicht wahr“, sagt die Gräfin. „Haben die das Ding denn nicht wieder rausgeholt?“

„Glaub schon. Ich war ja voll bräsig während des Eingriffs, und als ich die Brüder reden hörte, vonwegen ein Chip wär abgebrochen, bin ich gleich wieder weggedämmert. Wahrscheinlich haben die Brüder die Antenne wieder rausgefischt, ich denk schon, klar..“

„Antenne..? Was für ne Antenne?“

„Na, was weiss ich denn, was sich alles versammelt hatte in meinen Hintern!“

*

In zweieinhalb Stunden kommen noch andere Dinge ans Tagelicht. Etwa dass Benzini im Jahre 2000, als die Internet-Blase platzte, auf einen Schlag einen Haufen Geld verlor, er spricht von 300.000 Mark. Angeblich war er auf der Autobahn in ein Funkloch geraten, als er gerade mit seinem Anlageberater telefonierte, und so hatte der Penner statt „Verkaufen!“ „Kaufen!“ verstanden. Ein 300.000-Mark-Mißverständnis. Es blieben ihm und seiner Frau 8.000 Mark auf dem Konto, damit startete er erneut durch.

Dass er wieder gut im Geschäft ist,  sieht man an der Jeans von Aldi. Als würde er immer noch in Schmierstoffen und Diesel machen, so sitzt Benzini in der Küche und lacht mit breitem Kiefer sein Understatement heraus.

Alles Tarnung.

Sorgen müsste man sich machen, wenn Benzini in ungefälscher Designerware aufliefe.

*

Auch dass Benzini und der rothaarige Al gemeinsam in eine Schulklasse gingen, ist mir neu. Nachmittags trafen sie sich auf dem Friedhof, um sich mit dem Ausheben von Gräbern das Taschengeld aufzubessern. Es gab acht Mark die Stunde.

Der rote Al Fleschkönigs hatte ein liebes, ja beinahe milchiges Gesicht, umrandet von langen roten Locken, um die ihn jede Frau beneidete. Innendrin sah er weniger mädchenhaft aus. Wenn Al, der gern mit einem Leichenwagen durchs Land kurvte, mal wieder pleite war, brach er den Toten kurzerhand Zahngold aus dem Kiefer und brachte es dem City-Juwelier an den Hinterausgang.

„Al, das gibt Ärger, sagte ich immer. Wenn das der Friedhofsverwalter sieht. Aber darum scherte sich Al nicht“, erzählt Benzini.

Einmal brachte er vom Friedhof einen Totenkopf mit ins Haus der Jugend. Die Mädels quiekten und gingen stiften, während wir Jungs wie um einen Fetisch um den Schädel herumtanzten und ihn in die Küche brachten. Weil der Totenkopf spackig und voller Erde war, setzte Benzini einen Topf brodelndes Essigwasser auf. Den Tipp hatte ihm ein älterer Friedhofsmitarbeiter gegeben – so sollte das Ding wieder schön weiss und sauber werden.

Irgendwann kam Trudl rein, die stellvertretende Leiterin vom Haus der Jugend, ein gutmütiges spätes Mädchen. Als sie uns sah, wie wir da mit sechs Jungs um den dampfenden Kochtopf herumstanden und johlten, wunderte sie sich, warum wir uns plötzlich so fürs Kochen interessierten.

„Na, ihr Halunken, was gibts denn da schönes..? Blumenkohl!?“

*

Bei aller Ungestümheit und Vitalität: Benzini nimmt mit flinkem Auge noch die kleinste und scheinbar nebensächlichste Geste wahr. Als ich es nach zwei Stunden Dauerbeschuss wage, ein Mal kurz zu gähnen, seh ich gleich die Empörung in seinem Blick, und dann dauert es auch nicht mehr lange, und er verabschiedet sich in Richtung Köln.

Komm bald wieder, lauter Mann.

Erzähl.

3 Gedanken zu „Benzini kommt zu Besuch

  1. sie haben es nicht verlernt gevatter mmulg

    eine herzerfrischende story ,na ihr habt aber auch was

    weggeziscchht..
    im alten rom neben dem jeansladen
    später gabs da nur noch kühlschränke
    im fenster
    glaub ich…hihi

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  2. Super Sache das, für mich als Leser allemal, die Rückkopplung zwischen früher und heute. Der Abgleich – wie war das denn? (Und was hat der G. nur erfunden? Egal! Das wollen wir gar nicht wissen.) Andererseits – nicht jeden Tag will man eine Windhose in der Küche haben, für zweieinhalb Stunden, egal ob von Aldi oder nicht.

    Ob nun Windhose, Schmier- und Treibstoff – hochoktanige Durchlüftung, auf jeden Fall, der Herr.

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