Psilocybin

Das Hühnerfrikassee an der Raststätte war verdorben gewesen. Ich bekam kaum die Scheibe runtergekurbelt, schon landeten Geflügelbröckchen und ein schlieriger Haufen Reis auf dem Rücksitz des Wagens und im Schoß meiner großen Schwester. Vater hatte Mühe, die Spur auf der Autobahn zu halten, weil im Wagen alles durcheinanderschrie, bei Tempo 100. Schneller fuhr Vater grundsätzlich nicht, mit dem Wohnwagen hintendran. Ein englisches Modell, überlang. Aber er fuhr auch ohne Wohnwagen selten schneller als 100. Er war ein vorsichtiger Vater. Und ich war ein vorsichtiger Junge, der kotzen musste.

Seit diesem Tag Ende der Sechzigerjahre hab ich kein Hühnerfrikassee mehr angepackt. Allein das Wort Frikassee löst Unruhe aus, sobald es in meiner Nähe fällt. Es juckt und es killert in der Speiseröhre, und ich muss sofort alle Fenster aufreißen. Ganz ähnlich verhält es sich mit Cinzano. Im Frühling 1984 hatten wir die glorreiche Idee, frisch gepflückte halluzinogene Pilze mit einer Flasche Vermouth runterzuspülen. Seither brauche ich an der Plirre nur zu nippen, schon kommt es mir hoch. Und das nur, weil ich es damals partout nicht wahrhaben wollte, dass Pilze, die nebenan auf der Wiese wachsen, einen genauso hart anfassen können wie synthetisch hergestellte Trips, die man teuer bezahlen muss beim dicken LSD-Händler um die Ecke.

“Die Dinger müssen dunkelbraune Lamellen und ein weißes Hütchen haben, sonst taugen sie nichts”, dozierte Danny, als wir über die Pferdewiese streunten. Er trug den rechten Arm in Gips. Er war zu Hause am Tisch eingeschlafen, „breit wie ne Natter“, den Kopf auf der Hand aufgestützt, und als er wach wurde, pochte sein Arm wie verrückt und war gebrochen. “Die besten Psilos findet man in dunklen Ecken, wo kein Licht hinfällt. Wo die Pferde hinscheißen.”

“Echt wahr? Wir suchen Pferdescheiße?” Karlos klimperte mit den Augen. Er liebte es mit den Augen zu spielen. Riss sie auf, kniff sie zu, ließ sie Männchen machen und klimpern wie Tootsie. Er war Schauspieler durch und durch, und seine Bühne war überall dort, wo Zuschauer waren. Doch Danny war nicht aus der Ruhe zu bringen.

“Psilos wachsen zwischen Dung, Psilos sind Mistbewohner, Karlos. Deswegen törnen die so gut.“

„Weil die aus Scheiße bestehen?“

„Weil die aus Scheiße bestehen.“

Danny wusste, wovon er sprach. Von Psilocybin. Magic Mushrooms. Zauberpilzen. Dem rituellen Gift der Atzteken. Von heiliger Scheiße. Ja, er kannte sich aus, unser Danny Boy.

“Auch wenn sie draußen auf der Wiese wachsen, Psilos sind verboten, genauso wie LSD.”

Danny war eins neunzig lang und schmal, geradezu eine Gerte von einem Mann.Beim Gehen sah er aus wie ein Ausrufezeichen, das seinen Punkt wegwirft. Und er hatte einen schlimmen Silberblick, an dem auch die altmodische Hornbrille nichts zu ändern vermochte – im Gegenteil, die Gläser machten seinen Blick noch einen Tick silbriger. Man wusste nie genau, ob Danny einen wirklich meinte, wenn er einen anblickte.

“Wieso verboten? Sind doch Pilze”, entgegnete Karlos. “Kann doch jeder pflücken. Ist doch öffentlich, so ne Pferdekoppel. Wer will einem denn verbieten, Pilze zu sammeln. Sagt man einfach, Herr Kommissar, ich bin Pilzsammler, treten Sie bitte nicht auf meine äh Psilos, sonst muss ich Sie dingfest machen!”

Ich lachte, Danny blieb cool. “Psilocybin ist dem Opiumgesetz unterstellt, wie Heroin. Ist verboten. Ist nun mal so, Karlos.”

“Na ja klar, mit Verbieten hatte Deutschland noch nie Probleme”, gab sich Karlos murmelnd geschlagen.

Danny kannte sich nicht nur mit biochemischen Prozessen aus, er war auch in Rechtsfragen bewandert. Es gab Leute, die nannten ihn nur den Prof, wie in einem Abenteuerbuch für Jungen. Ich hab ihn wenig später aus den Augen verloren, wie so viele andere auch. Vielleicht hat er tatsächlich Jura studiert, oder er ist Meteorologe geworden: “He, Langer! Wie ist die Luft da oben!?” war die Lieblingsfloskel, mit der man ihn zum Lachen bringen konnte. Was auch immer aus ihm geworden ist, eins stand fest: Sobald ihm eine Sache zu heiß wurde, sah man nur noch einen Wusch, und Danny-Boy war über alle Berge.

Wir hatten uns bei Karlos getroffen, in seiner düsteren Mansarde am Bismarckplatz, nun marschierten wir zu dritt Richtung Stadtwald. Es war nicht weit. Keine halbe Stunde Fußweg bis zur ominösen Pferdewiese, die angeblich nur Danny kannte. Ein Duft von Salbei lag über dem Forst, und je tiefer wir vordrangen, desto barscher wurden die Gerüche.

„Dammwild“, tippte Karlos.

An einem Teich trafen wir einen Makro-Fotografen. Er schleppte eilig sein Equipment hin-und her, hielt zuletzt ein Schilfrohr in der Hand.

„Ich hab eine Libelle gefunden, die gerade geschlüpft ist“, flüsterte er, „die lässt sich gut fotografieren auf dem Schilf. Aber ich muss mich ranhalten. Die Zeit arbeitet gegen mich.“

„Ja, ist immer so“, sagte ich, und wir zogen weiter.

“Da vorn ist sie, die beste Psilo-Wiese weit und breit.” Wir stoppten an einer Koppel. “Und wisst ihr auch warum ausgerechnet hier?” Danny gab sich die Antwort gleich selbst. “Weil Pferde nirgends dickere Haufen kacken.”

Dummerweise schien genau das sich herumgesprochen zu haben, denn der Eigentümer der Koppel hatte den Zaun nicht nur erhöht, sondern auch gleich mit gelben Hochspannungsschildchen und elektrischen Kontakten versehen. Danny führte uns ein paar Meter weiter. Verdeckt von Sträuchern fanden wir ein Törchen. Es war nicht abgeschlossen. Danny grinste zufrieden. Siehste, sagte sein Blick, lasst das nur den Prof mal machen. Das Genie. Pflücken war allerdings nicht sein Ding. Wegen des Gipsarmes. Sagte er. Das müssten wir schon erledigen, Karlos und ich.

So einfach allerdings, wie Danny-Boy getönt hatte, waren die Dinger nicht zu finden. Sie machten sich rar, zudem musste man sich auf der sumpfigen Wiese in Acht nehmen, dass man nicht mit dem Fuß umknickte. Es dauerte fast eine  Stunde, bis wir endlich genug Pilze zusammen hatten.

Zurück in Karlos schattiger Bude am Bismarckplatz kippten wir alles auf dem Küchentisch aus, samt Erde und Wurzelwerk.Das Trocknen der gut zwei Dutzend Pilze übernahm Danny selbst, trotz des störenden Gipsarmes. Mit der gesunden Hand wusch er sie in einer Plastikschüssel und breitete sie auf einem vorgewärmten Küchenhandtuch aus, so vorsichtig, als handelte es sich um weiße Trüffel. Karlos und ich machten uns ein bisschen über ihn lustig, Danny, das Trüffelschwein, das Psilo-Schwein, und schoben die nikotinschweren Fenstervorhänge zur Seite. Während Danny zu tun hatte, genossen wir die Frühlingssonne, die sich, wenn auch noch etwas schüchtern, in die Haut fummelte, und hörten Johnny Cash. Ein bisschen Frömmeln konnte nicht schaden.

Eine Stunde später waren die Zauberpilze getrocknet, das Experiment konnte beginnen. Allerdings in veränderter Besetzung. Danny hatte sich nach getaner Arbeit plötzlich davongestohlen, ohne ein einziges Exemplar probiert zu haben. Doch so kannte man Danny nun mal. Außerdem war der dicke Hansen just in dem Moment aufgekreuzt, als sich der Prof verabschiedet hatte. Sie waren sich noch an der Haustür begegnet.

“Als hätte ich’s gerochen”, freute sich Hansen.

Zur Feier des Tages öffnete Karlos eine Pulle Cinzano, es war nichts anderes im Haus. Da war bloß ein kleines Problem. Weil keiner von uns Dreien je psylocibinhaltige Pilze probiert hatte, kannten wir die Dosierung nicht. Darüber hatte Danny sich nicht ausgelassen. Der dicke Hansen schob sich zwei fingerlange Lamellenpilze in den Mund und versuchte sie mit einem Schluck Cinzano runterzuspülen, doch man musste schon ordentlich kauen, sonst erstickte man an den Knollen. Karlos und ich folgten seinem Beispiel, es war grässlich. Es schmeckte, als würde man die Schnauze tief in die Erde stecken und Mutterboden fressen. Und die Idee, die Pilze mit öligem Schaumwein runterzuwürgen, war auch nicht hilfreich. Einfaches Leitungswasser hätte es vermutlich besser getan. Aber irgendwie hatten wir gehört, dass man Psylocibin unbedingt in Verbindung mit Alkohol runterspülen musste, wegen der besseren Gift-Verwertung. Ist klar.

Hansen war mit dem Auto da. Wir fuhren einfach drauflos. Wolken zogen am Himmel entlang wie Gasflämmchen an einer langen Schnur. Am Katternberg hielten wir an, unter einem blühenden Goldregen. Ben’s Billard Kingdom. Ein riesiger Billardschuppen.

“Ich muss ne Kleinigkeit essen“, meinte der dicke Hansen.

“Da gibt’s nix zu essen, Hansen. Das ist ne Spielhalle.”

“Was zum Aufbacken werden die ja wohl haben. Ne heiße Hexe kriegst du überall.“

Es gab keine heiße Hexe. Im Billard-Saal fochten wir ein Turnier aus. Jeder gegen jeden, mit Rückspiel. Mitten in der Partie gegen Karlos fing es an. Ich wollte einen Stoß setzen, als sich das grüne Tuch vom Billardtisch hob. Es wölbte sich, knickte ein. Ich setzte erschrocken den Queue ab. Lauter kleine Hügel und Pyramiden standen auf der Billardplatte – das Tuch kringelte sich wie eine übergroße benutzte grüne Serviette.

“Ehh.. zum Teufel..”, wich ich zurück. Um der schieflaufenden Optik zu entgehen, drehte ich mich um, zum dicken Hansen. Er lehnte an der Wand, wie in Säure gegossen.

“Wo.. ist Karlos hin..?” fragte ich mit einer Stimme, die ich nicht kannte. Die ich niemals gehört hatte. Ein Fremder kauerte in meiner Kehle und stieß Steinbrocken hinab.

“Auffem Pott, kotzen, glaub ich. Weiß nicht. Er hat nix gesagt. Aber er sah so aus, als müsste er kotzen”, meinte Hansen ungerührt.

Ich lugte vorsichtig zum Billardtisch. Wollte sehen, was es mit dem Tuch auf sich hatte. Ob es sich noch kringelte. Ob die Geschichte sich vielleicht beruhigt hatte, ob das Leben weitergehen konnte wie gehabt. Ich stand da wie ein Murmeltier, das nach langen Wintermonaten aus dem Bau gestiegen war und nun die Gegend nach verrückten grünen Billardtischen absuchte. Verdammt! “Ich muss hier.. raus..”, machte jemand Panik in mir, ich krächzte nur noch. Selbst Hansen sah mich bestürzt an. Plötzlich war auch Karlos wieder da, blau im Gesicht. So blaugrün. Wir drei alle raus, zum Auto. Weg hier, weg vom Katternberg, dem Billard-Kingdom. Dreimal mindestens musste Hansen anhalten, weil einer von uns kotzen musste. Fast immer war es Karlos.

„Da kann doch gar nichts mehr zu kotzen drin sein“, klopfte ihm der dicke Hansen auf die Schulter. Und musste schon wieder anhalten.

Ich war ohne Zeitgefühl. Straßen und Häuser flogen vorüber, in Beton eingenäht, Pralinenmenschen und Passanten. Der dicke Hansen, immer noch hungrig und von uns dreien mit den besten Nerven ausgestattet, steuerte Börse 17 an, ein berüchtigtes Nacht-Restaurant in der Innenstadt, dessen Küche um diese Uhrzeit offiziell noch geschlossen war. Hansen musste schon sämtlichen Charme aufbieten, um dem Koch ein Hüftsteak mit Salat aus der Pfanne zu leiern.

Im ansonsten leeren Gastraum verteilten wir uns an drei Holztischen. Unterdessen schwappte das Psylocibin durch unsere Körper, in verschieden hohen Wellen. Man wusste nie, woran man war. Mal wähnte ich mich bereits im fiebrigen Vorraum einer LSD-Hölle, dann wiederum lockerte sich mein zur Fratze erstarrtes Gesicht, weichte auf und ich musste grinsen. Ich beobachtete den dicken Hansen, erstaunt, in welchem Tempo er seinen Teller Fleisch und Bratkartoffeln und Salat abarbeitete. Mir war schleierhaft, wie Hansen in diesem Zustand einen Bissen runterkriegen konnte. Schon die Gerüche in der Spelunke machten mich krank, Gerüche von abertausend aufgewärmten Portionen Spaghetti Bolognese, es sickerte aus Vorhängen und Kirschbaumvertäfelung. Der dicke Hansen und Karlos schienen unbeeindruckt von alledem. Sie hatten anderes im Sinn. Sie beharkten sich mal wieder.

“Sex mit ner Frau wär jetzt nicht übel”, meinte der dicke Hansen und roch an seinem Finger. “Ne kurze schmutzige Nummer auf dem Dixie-Klo, wo es schön stinkt. Hier..”, er hielt den Finger Karlos hin, „..nimm mal nen Sniff.“

„Hau ab, du Sau..!“

An mir leckte schon die nächste Psylocibin-Welle. Ein Monster. Während Hansen sich wieder seinem Steak widmete, verfolgte ich das Besteck in seiner Hand, es machte sich selbständig und stieß in seine Halsschlagader. Ich sah das Blut heftig über den Tisch sprudeln, wie Harz aus einem aufklaffenden Astloch. Seine Gabel kratzte tief im Porzellan. Ein toxisches Orchester. Ich stand abrupt vom Tisch auf. Fast soldatisch. Hatte jemand PFERD gesagt? Ich hatte Pferd gehört. Jemand hatte das Wort PFERD benutzt! Ich kraulte in Richtung Tür, schob den Holzperlen-Vorhang beiseite. Schweres Rascheln und Raunen.

Draußen. Parkplatz. Sonnenschein.

“He.. was ist denn mit dem los!?” sagte jemand.

Hundegebell von nahen Innenstadthöfen.

“He! Warte..” Karlos kam nach. Allein. Ohne Hansen. Durch die Fensterscheibe sahen wir ihn am Tisch sitzen, blass, vor seinem Trog. Er blickte uns nicht mal nach. Er hatte zu tun. Wir kreuzten die Fußgängerzone und die vielbefahrene Goerdeler Strasse, ohne ein Wort zu wechseln. Karlos kannte mich lange genug, um zu wissen, was los war. Gehen. Schnauze halten. Da sein.

Ich hatte voll den Flashback. Jahre zuvor hatte ich den fatalen Fehler begangen, auf einem Patti Smith Konzert in der Philips-Halle einen Trip zu werfen, der mich fast um den Verstand gebracht hätte. Später nutzte Karlos die Geschichte, um sich vor dem Wehrdienst zu drücken. Die Musterungskommission erklärte ihn auf der Stelle für “untauglich” und empfahl ihm, mit fahlen Gesichtern, ein Psycho-Drama, um sich von den traumatischen Erlebnissen befreien zu können. Und jetzt steckte ich wieder in solch einem Debakel, getrieben von der Angst, nie mehr zur Normalität zurückkehren zu können. Für immer gefangen zu bleiben in drastischer Über-Intensität, in Bildern, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt – und das bloß, weil ich es nicht wahrhaben wollte, dass Dinge, die in der Natur wachsen, genauso törnen wie im Labor gebautes LSD. Wie doof kann man eigentlich sein. Ist nicht alles, was Menschen bauen, denken, erfinden Natur, weil der Mensch selbst Natur ist, ein Tier. Ein von Menschenhand geschaffenes Beton- und Stahlmonster wie New York ist Natur, Plastiktüten vom Supermarkt, Kernkraft, Lourdes, Psilos, LSD – alles Natur. Von uns gemacht, von der Erde gemacht. Wir stecken alle unter einer Decke. Es ist alles ein einziges großes Naturschauspiel, ihr ollen Buckelzirpen.

Es dämmerte. Im Stadtpark hinterm Haus der Jugend waren die Wiesen frisch gemäht. Ein Gärtner fackelte Unkraut mit dem Bunsenbrenner ab, mit finster entschlossener Miene. Das Gras, zu Häufchen zusammengeschoben unter unseren Füßen. Wir stoppten an einer Bank. Setzten uns, wollten eine Runde entspannen, ausatmen, doch urplötzlich machte das Psilocybin wieder Station, rotzte durch mein Gesicht – Quecksilberattentat – ich war ein schwer versehrtes Tier;

Karlos, ich konnte Dich damals nicht angucken. Deine Visage, erstarrt zum gealterten Pinocchio. Keine Ohren, nur rotes Knorpelmaterial, OBWOHL ICH GAR NICHT MEHR HINGUCKTE – NICHT HINGUCKEN KONNTE

SPRANG ICH

von der Bank auf, taumelte den Park hoch, über die Wiese; DER FRISCH GEMÄHTE RASEN TRÄGT BUBIKOPF! lächelte jemand in mir, der schon mal dagewesen war. Hinter mir ein Lärm, als würden gusseiserene Gullydeckel in die Luft gesprengt, Ksarlos‘ Schritte auf dem Fußweg. Er ließ mich nicht allein. Er kam mir nach.

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DER RASEN WURDE ELEKTRISCH NIEDERGEMÄHT! trieb eine Schleife durch mein Gehirn. ELEKTRISCH NIEDERGEMÄHT ELEKTRISCH NIEDERGEMÄHT. Ich hockte mich nieder, versuchte ein Büschel Gras zu berühren, in die Hand zu nehmen, versuchte mich durch Berührung zu beruhigen, die Panik zu dämpfen, mich zu spüren, doch das Gras verkochte in den Händen.. Waren DAS überhaupt Finger, die aus mir heraus in die Wiese griffen..?! Voller Angst, es nicht mehr zu schaffen.. nicht dieses Mal.. dieses Mal NICHT MEHR normal werden.. keine Wiederkehr, auf immer gefangen, geknechtet von Eindrücken – wie vom Tauchsieder zum Kochen gebracht blubberten die Beine, mit Marschflugkörpern bepackt, unterwegs zur Hölle, sämtliche Tickets waren gelöst, man winkte mich durch und die Engel kicherten: Ahh, da isser wieder der Fertige, ja, da war er wieder, der Fertige..

immer in Bewegung bleiben, die Zeit umkriegen, bergauf, bergab, O Herr, spüle Zuversicht in unsere Herzen: Wenn das Bewusstsein nicht mehr funktioniert, wenn es nur noch ein überquellendes Postfach ist, weil der Sortierer nicht zum Dienst erscheint, bleibt zuletzt nur Bewegung, auch wenn die Dämonen im Gleichschritt mitmarschieren, niemals stehen bleiben! immer weiter

gehen

weil stehenbleiben ist schon mittendrin in jeder späteren Psychose, ist schon im Superwachkoma

PRASSELND

“Bleib locker, Junge.. Du schaffst das.”

Ich wollte nichts anderes, als abends im Bett liegen und der Fernseher läuft.. ganz alltägliche Sachen, einfache Geschichten; TV-Serien gucken, es erschien unerreichbar, so göttlich ordinär, dass ich irgendwas Ähnliches suchte, ich sagte zu Karlos, sagte, “lass uns zu dir gehen. In die Badewanne. Lass uns baden.”

Die Vorstellung, in heißes Wasser einzutauchen, gemeinsam mit einem Freund, als würde ich von einem warmen Lasso ins Leben zurückgeholt werden..

„Sicher“, sagte Karlos. „Lass uns gehen.“

Wir gingen nicht zu Karlos. Wir stiegen nicht ins verheißungsvolle heiße Bad, aber wir hätten es tun können, das war die Hauptsache. Das war die Wende. Wir blieben noch etwas zusammen, eine halbe Stunde vielleicht, bis die Wirkung der Pilze ganz plötzlich abflaute und aus der Angst (und wie schnell das mit einem Mal ging!) nie dagewesene Befreiung erwuchs.

Ein zweites Mal ließ ich das frisch gemähte, noch feuchte Gras der Malteser Gründe durch die Finger rieseln, wie Samt diesmal, ich freute mich wie ein Kind, ein tränenweißes Königskind, heilfroh, dass der Trip endlich ausatmete, dass ich noch mal die Kurve gekriegt hatte.

Die Nacht holte Luft.

13 Gedanken zu „Psilocybin

  1. auch wenn das ne unterhaltsame sache war, an nichts kann ich mich erinnern. was nicht unbedingt bedeutet, dass es nicht stattgefunden hat. dafür kamen andere erinnerungen hoch.
    es waren übrigens allerhöchstens 1000 gramm, die meine hüften abrundeten. ach, was solls !

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    • Das Blöde an Psilocybin ist ja, dass man nie genau weiß, welche Wirkkraft gerade in so einem Pilz steckt. Man sieht es ihm kaum an. Nicht mal ein Haltbarkeitsdatum ist drauf. Aber im Ernst. Es ist schon ein Spiel mit dem Feuer.

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      • n spiel mit dem feuer isses eigentlich nur, wenn man halt gleich 4 von den dingern auf einmal einwirft. nachlegen geht immer. btw; mit ner ähnlichen nummer wie karlos hab ich mich auch meiner patriotischen pflicht entzogen, mich hat die musterungstelle aber vorsichtshalber noch zum neurologen geschickt. der typ war vielleicht ne nummer, nicht nur sah der aus, als wenn er selbst zu den drei hauptmahlzeiten des tages sich den beherzten griff in den giftschrank genehmigt, nein, er kam mir auch tatsächlich zum abschied mit dem unvermeidlichen spruch, ich möge doch mit den „drogen aufpassen“.

        ansonsten erinnert mich dein grandioser text fatal an einen meiner letzten trips in den ’90gern. *kicher*

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  2. Unfassbar gut dieser Glumm. Ich hab Deinen Blog aus den Augen verloren und heute wiedergefunden – ich liebe Deine Geschichten. Wirr und klar zugleich. Einfach toll. Hör bitte nie auf zu schrieben und bleib gesund.

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  4. Pingback: Lehm’ is hart – Der schwierige Abschied vom dicken Hansen | Studio Glumm

  5. Peinlich,daß ich letztens von ZILLUS geschrieben hab,aber du siehst es mir sicher nach.hab Glück gehabt, meine erste Psiloerfahrung war richtig geil.zwei Gramm hieß es,sollten es schon sein.die hab ich in zwei Hälften mit Bier runtergespült,keine Ahnung wie lang ich am kauen war.Hussi war von August bis Oktober auf sämtlichen Kuh- und Pferdewiesen in Remscheid gewesen.am Ende war ein ganzer Sack voll.ist 17 Jahre her,ich denke es liegen bei ihm zu Hause immer noch welche rum,da er den Sack auch in den nächsten Jahren zwischen August und
    Oktober immer wieder auffüllte.ich kam in die Konzerthalle,könig-pilsener in Oberhausen,ich glaube damals hieß sie noch anders.die smashing Pumpkins hatten schon angefangen.genau in dem Moment setzte die Wirkung ein.ich habe Billy Corgan’s Stimme nie wieder so klar,so Gänsehaut mäßig gehört.beste Konzert ever! Drei Tage später fuhren Hussi und ich nach Belgien,um diesen Klangorgasmus nochmal zu erleben.da er aber auf Pilzen nicht Autofahren wollte und unsere Freundinnen unbedingt mitwollten,nahmen wir keine.die Pumpkins waren gut,mehr nicht.die Stimme Corgan’s,die eines Normalsterblichen.habe mit psilos eigentlich nur gute Erinnerungen,aber ich würde heute weder Pilze noch Trips jemals wieder nehmen.es ist vorbei.

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  6. Erstmal Danke für deinen Link! Ist für mich jedes Mal eine große Ehre, ohne Scheiß!
    Und dann wieder das Übliche- wie du schreibst …
    Ich schreib gerne über meine Drogenerfahrungen, aber an meine Trips- und Pilzeerfahrungen trau ich mich nicht dran, weiß sie nicht in Worte zu packen. Und dann les ich diese Geschichte (natürlich nicht zum ersten Mal)!
    Ich denke, es wäre nicht in Ordnung, wenn ich einfach deine Worte kopieren würde, aber GENAUSO würde ich es beschreiben- wenn ich mit Worten so umgehen könnte…

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