Nase Nummer Eins

Ein Tag in den frühen Achtzigern. Sehr frühe Achtziger. Wenn ihr mich fragt:

1980.

Vorm Schauspielhaus Düsseldorf wurden Szenen eines Films abgedreht, Kamikaze 1989. Bo und ich standen keine zwanzig Meter entfernt, wir schauten den Dreharbeiten zu, und nein, wir waren nicht zufällig da.

Uuund.. Action!

Auf dem großen Vorplatz des Schauspielhauses kam ein amerikanischer Straßenkreuzer vorgefahren, und Fassbinder stieg aus, zügig, in seinem Leopardenfell-Anzug.

Rainer Werner Fassbinder.

„Machen Sie mein Natron fertig!“ pflaumte er seinen Assistenten an, der ihm die Autotür aufhielt. Es folgten weitere Sätze, die wir nicht verstehen konnten, weil der Wind sie zurückhielt. Als hätte man ihn engagiert, damit wir nicht jeden Dialog mitkriegten. Der Wind, Garant jeder Geheimstufe. Bo und ich kamen neugierig näher, bis die Crew uns stoppte.

Bo hatte ich Monate zuvor im Billard-Cafe in Düsseldorf-Kaiserswerth kennengelernt, als Karlos mich besucht hatte und wir im besoffenen Kopf eine Theken-Schlacht mit Orangen inszeniert und dafür Lokalverbot kassiert hatten. Eine dämliche Geschichte, aber Bo war irgendwie in die Apfelsinen geraten, so kam man sich näher.

Im idyllischen Kaiserswerth am Rhein absolvierte ich 1980 meinen Zivildienst. Ich arbeitete in einer orthopädischen Klinik und bewohnte ein winziges Zimmer im Schwesternwohnheim. Zum ersten Mal im Leben hatte ich ein eigenes Zimmer. Ich fühlte mich großartig. Bo, der in der Nähe des Flughafens lebte, kam gelegentlich vorbei. Ein lockerer Vogel mit hochgestrubbeltem Haar.

„Wasn das?“ fragte er verwundert.

Er stand im Zimmer, in dem es stark nach Jacutin roch, einem Mittel gegen die Krätze, die hartnäckig im Bekanntenkreis kursierte.

„Das kommt vom Krätze-Pulver in der Bettwäsche“, sagte ich.

„Nee, nicht der Gestank, den kenn ich, ich meine hier, das Poster..“

„Das ist Franz-Josef Strauß“, erwiderte ich.

„Na, das seh ich. Aber wieso?“

Es war Bundestagswahlkampf, und weil alle Zivildienstler strikt links waren und ich schon immer Spaß daran hatte, Mehrheiten zu bekämpfen, hatte ich an meiner Zimmertür ein Wahlkampfplakat der CDU/CSU aufgehängt: FÜR FRIEDEN UND FREIHEIT, darunter die bullig-rote Rindfleischfresse von Franz-Josef Strauß. Niemand wusste etwas damit anzufangen, keiner kapierte den Gag. Im Gegenteil. Fortan bekam ich auf den Gängen des Schwesternheims böse Blicke, jedenfalls von den Kriegsdienstverweigerern, die aus ganz Nordrhein-Westfalen zusammengezogen waren.

Bo verlor schnell das Interesse an dem Plakat. Ich weiß gar nicht, was ihn überhaupt je wirklich interessierte. Er war jemand, der bekifft sein Sportrad entlang der Landstraße schob, kilometerweit, die Hand am Sattel, nicht am Lenkrad, immer geradeaus.

Ein angenehm lässiger Typ, der Düsseldorfs Altstadt mit hochpotentem Kokain versorgte. Bo bezog es ohne Umwege aus Panama, und das war auch das einzige, was er in dieser Hinsicht jemals durchblicken ließ.

Es war mir auch egal. Ich war nie der große Kokser. Ich kam mit dem abrupten Loch nicht klar, das Kokain hinterlässt, wenn es seine Wirkung verliert und man kein Pulver mehr auf der Tasche hat, um die nächste Nase nachzulegen. Natürlich fand auch ich die erste Viertelstunde unschlagbar, wenn das Kokain wie ein Flugzeugträger an den Rezeptoren andockt, doch der Flugzeugträger kann seinen Kurs nicht halten und einmal auf hoher See treibt man schnell in depressiven Gewässern, in tiefer und schwarzer See. Kokain lässt einen auftrumpfen wie Elvis 1957 live on stage in Memphis, doch wenn man dafür den Rest des Abends in Trübsal versinkt wie der verfettete Las Vegas-Elvis 1977, dann stimmt einfach die Relation nicht: zwanzig Jahre Elvis im Schnelldurchlauf.

Tags zuvor hatte Bo einen Telefonnotruf erhalten, von einem Mittelsmann. Ein Dealer war bei den Bullen aufgetitscht und nun war er, Bo, beauftragt worden, Fassbinder zu beliefern, Deutschlands berühmte Nase No.1, die gerade für Dreharbeiten in der Stadt weilte.

(Kamikaze 1989 sollte Fassbinders letzter Film werden.)

„Pause!“ rief jemand, der wie die Zweite Regie aussah.

Entspannung am Set. Alles lief durcheinander, quatschte, man rauchte. Fassbinder lümmelte inmitten seiner Leute, wie ein übelgelaunter dicker Kater. „Leckt mich doch alle am Arsch“, sagte dieses Gesicht.

(Er spielte den schmierigen Polizei-Leutnant Jansen.)

Bo drängelte sich zu ihm durch, sprach etwas in seine Richtung, alles ganz easy. Darin war er große Klasse. Was auch immer Bo tat, es kam so selbstverständlich rüber, dass ihn jedermann passieren liess, selbst die arroganten Türsteher der „Pulverbuden“, wie Bo die Altstadt-Discos zu nennen pflegte, winkten ihn durch.

Bei Bo passte alles zusammen. Der Gang, das hochgestrubbelte Jungs-Haar, die vom Sniefen chronisch geröteten Nasenlöcher, wie Kidneybohnen.

Cool und immer ein bisschen fertig, das war Bo.

Fassbinder und Bo verschwanden in einem der Crew-Wohnwagen abseits der Filmaufnahmen. Ich saß auf den geschwungen angelegten Treppenstufen vorm Schauspielhaus und versuchte bekannte Kino-Gesichter auszumachen. Ich war kein Fan von Rainer Werner Fassbinder. Er war ein schwerer Kokser, und alle Kokser sind zwanghaft, wie ein Fassbinder-Film.

Viertelstunde später war Bo zurück.

„Der schwitzt wie ein Schwein“, nuschelte er nur. Sonst nichts. Nie wieder hat er ein weiteres Wort über seine Begegnung mit Fassbinder verloren, Deutschlands Kult-Nase No. 1.

Wir fuhren zurück nach Kaiserswerth und snieften im Schwesternwohnheim einige Linien vom gleichen Weltmeister-Kokain, das auch Rainer Werner Fassbinder durch die Nase zog an diesem sonnigen Frühlingstag in den frühen 80ern.

So wurde ich berühmt.

4 Gedanken zu „Nase Nummer Eins

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