Doktorspiele haben am meisten Spaß gemacht mit viel Spucke, erzählt sie. „Spucke war die Supermedizin.“
Nachbarsjunge Micha hatte die leichteste Rolle: Er musste nur unten liegen und das T-Shirt hochziehen, während Frau Doktor, also die kleine Gräfin, mit ihrer Assistentin Müller plauderte und dabei Spucke in Michas Bauchnabel verrührte, mal mit dem Mittel-, mal mit dem Zeigefinger.
„Sehen Sie, Frau Müller..? Immer schön reinreiben, die Salbe. Ganz tief rein. Wie Rührei.“
Wahrscheinlich guckt die Gräfin auch heute noch gern Dr. House und andere TV-Serien mit Petrischale, weil ihr die Doktorspiele als Kind soviel Vergnügen bereiteten. Nennen möchte ich in vorderster Front auch Grey’s Anatomy, die Krankenhaus-Serie, die allein schon deshalb Eingang in unsere gemeinsame Geschichte fand, weil ich mich bei dem Wort Anatomy ständig verhaspelte und Atomony sagte statt Anatomy. Eine Serie, in der das Klinikpersonal stets geduldig war und viel Zeit für die Patienten hatte und wo noch die schwierigste Zungen-OP ein glückliches Ende fand. Da wünschte man sich fast schon, endlich mal in ein nordamerikanisches Krankenhaus zu kommen.
“Schauen Sie doch einmal her, Schwester Müller.”
Auch während eines noch so komplizierten Eingriffs vergaß die Gräfin niemals, ihre jüngere Assistentin auszubilden und in die Geheimnisse der Medizin einzuweisen.
„Spucke reinigt den Magen, Schwester Müller.“
Der kleine OP-Saal war unten im Party-Keller und rasch hergerichtet. Ein Tisch wurde in die Mitte gerückt und mit silbrigen Sitzkissen gepolstert. Leider waren die Lichtverhältnisse im Keller reichlich düster, als Operateurin wusste man nie so genau, ob es nun wirklich die marode Trinkerleber war, die man rausholte, oder ein Stück Hüftspeck.
An einem heißen Tag in den großen Sommerferien wurde die OP spontan vom Keller ins Indianerzelt verlegt, das oben m Garten aufgebaut war. Es galt keine Zeit zu verlieren. Ein Notfall war eingeliefert worden: ein junger Mann mit Bauchweh.
Er hieß Micha.
„Vielleicht müssen neue Schläuche verlegt werden, Frau Müller“, rief Frau Doktor (die Gräfin) und versuchte die Nerven zu behalten.
Die Assistentin machte derweil schon die OP-Zange warm. Es war so heiß im Indianerzelt, dass die braunen Kunststoffwände zu stinken begannen, ein bisschen wie Fisch. Dann wurde operiert. Der Patient lag halbnackt auf dem harten Tisch und wimmerte vor Bauchweh, während Frau Doktor mit der Assistentin plauderte und Spucke in seinem Bauchnabel verrieb. Plötzlich lief die OP aus dem Ruder. Ein Zwischenfall. Das war nicht geplant gewesen. Micha, der liebe blonde Junge aus der Nachbarschaft, war es leid, immer nur Patient zu sein und zweifelhafte Praktiken über sich ergehen lassen zu müssen.
Er bäumte sich auf.
„Ich will auch mal Doktor sein! Ich will nicht immer nur rumliegen!“
„LIEGEN BLEIBEN!“
Frau Doktor wies Assistentin Müller an, den Patienten gut festzuhalten, („der darf nicht wackeln!“), und biss ihm voll in den nackten Bauch. Noch zwei Tage später war der Abdruck der Schneidezähne deutlich zu erkennen. Michas Mutter machte richtig Ärger. Danach gab es eine Zeitlang keine Doktorspiele mehr. Aber die großen Ferien waren eh zu Ende.
Wunderbare Gräfin.
Diese verspielte Weisheit – oder ist es weise Verspieltheit?!
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