Vom Schreiben und vom Atmen

Aus dem Wortheld Juni 2015-Interview  mit Dominik Leitner

Seit wann und warum schreibst du eigentlich?

Ich war schon über vierzig, als ich mich vage daran erinnerte, dass es in meinem Leben einmal mehr gegeben hatte als eine Nase zu ziehen, mich zu besaufen und das defekte Lämpchen in all dem Glitzer zu sein. Genauer gesagt: fünfundvierzig.

Am 11. Januar 2005 kam mein Bruder rüber, stöpselte das Internet ein und ich begann zu schreiben.

Bis heute hab ich nicht aufgehört.

*

„Schreiben ist Schlaf, ist Trance. Wenn ich nach einigen Stunden vom Schreibtisch aufstehe, beginne ich zu frieren. Ich gähne siebzehn, achtzehn Mal hintereinander, ich bin komplett k.o. Es ist, als habe das Schreiben sämtliche Energie auf einen Punkt konzentriert und von allen anderen Körperteilen abgezogen. Mir ist vermutlich schon beim Schreiben kalt gewesen, ich bin schon die ganze Zeit k.o., aber ich hab es nicht mitgekriegt. Ich habe geschlafen. Ich war in Trance. Erst nach dem Schreiben merke ich, was eigentlich los ist in der Welt.“

*

„Wenn ich den ganzen Tag am Rechner sitze und das Holz des Schreibtischs einatme, gibt es nichts schöneres, als am Abend mit dem Hund durch den Wald zu laufen und das Holz der Bäume einzuatmen.“

*

Wo befindet sich dein kreativster Ort?

Überall, wo mein Notizbuch ist. Ich bin mit dem Notizbuch hinter dem Leben her wie der Vielzitierte hinter dem Weihwasser. Ich versuche die Sätze da zu packen, wo sie ins Leben treten, an der Quelle. Wenn ich in eine Situation gerate, über die sich schreiben lässt, setze ich mich unmittelbar danach hin und schreibe alles auf. Das Notizbuch ist stets griffbereit, auch in der Nacht. Falls ich wach werde und gerade den Traum des Jahrhunderts gefeiert habe.

*

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Ein älterer Herr spaziert durch die Fußgängerzone, die Hände hinterm Rücken. Er bleibt vor mir stehen, blickt freundlich auf mein Notizbuch nieder, in das ich gerade ein paar Einträge mache.

“Schularbeiten, ja..?”

13 Gedanken zu „Vom Schreiben und vom Atmen

    • Hier muss man echt aufpassen.. Nichts geht Bibbche unbemerkt durch. Das Foto ist von 2009, glaub ich. Ich rauche seit Silvester 2012 nicht mehr. Letzten Oktober in HH hab ich beim Mitsubishi Boy einmal an der Kippe gezogen und bin bald hintenrüber gekippt. Ist wahr. Lass mal lieber mit dem Rauchen, hab ich gedacht.

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      • Das ist super! Nachdem mir letztes Jahr eine Zyste im Kiefer entfernt wurde und ich wochenlang Schmerzen hatte und nu Breichen essen durfte und natürlich nicht rauchen, habe ich auch aufgehört. Im Grunde ist es ja auch blöd: törnt doch nicht!

        Übrigens, so habe ich immer wieder angefangen, lass mal ziehen. Beim ersten mal kippste wirklich fast hintenüber, habs dann immer so lange probiert, bis mir nicht mehr schwindlig wurde. Aber besonders in Deinem Fall, ich meine was Du durchgemacht hast, finde ich es echt vernünftig!

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  1. Hieran musste ich bei Deinen Zeilen denken:
    „Nie ohne Stift, ohne Zettel weggehen … Es gibt keine Situation, in der nicht notiert werden dürfte, keine Gemütslage, die einen der Pflicht des Schreibens auf den Tod zu enthebt. Das an der Oberfläche Halunkische dieses Dauerverrats kann durch die Exaktheit des Notierten wettgemacht werden.“ (Wolfdietrich Schnurre)
    Was für ein Motto!

    Gruß, Uwe

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  2. Das hier aus dem Wortheld-Interview:
    „Linus verliebte sich so sehr in das Buch, dass er, je länger er darin las, immer langsamer wurde, um das drohende Ende hinauszuzögern. Für die letzten beiden Seiten benötigte er geschlagene zwei Monate. Jeden Abend gönnte er sich nur wenige Sätze, manchmal nur nur drei oder vier Worte. Für den letzten Absatz brauchte er vierzehn Tage. Als es sich beim besten Willen nicht länger hinauszögen ließ und er das Buch zuklappte, weinte er.“
    … ist großartig. Da will ich hin.

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  3. Vielleicht sollte ich auch mal zum Notizbuch wechseln, hab‘ ein kleines altes Diktiergerät, aber entweder ist die Batterie gerade alle, das Tonbändchen gerade voll oder ich habe das Gerät zuhause vergessen…

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    • Diktiergerät hab ich auch, bringt es aber nicht. Da fehlt etwas ganz elementares, was das Notizbuch hergibt: in dem Moment, wo man etwas aufschreibt, macht man automatisch den ersten gedanklichen Durchlauf, ob das ganze etwas taugt oder nicht. Ein Diktiergerät nimmt bloß auf, ist bloßes Abspeichern. Das reicht (mir) nicht.

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  4. Pingback: litblogs lesezeichen 02/2015 | isla volante

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