Der rote Luftballon

Der Nachteil jedes Höhepunkts: Er läutet unerbittlich das Ende ein.

*

Der Wind jammert in den Bäumen, und der rote Luftballon steckt in der Baumkrone fest, seit Tagen schon. So perfekt sitzt er da, so extra-festlich, als wäre jemand den Stamm hochgeklettert und hätte ihn dort oben befestigt, was aber nicht hinhaut: das dichte Astwerk verhindert ein Hochkommen und Anbinden. Nein, der rote Luftballon ist durch den Coppel-Park getrieben und hat sich oben in der Baumspitze verfangen, fertig, aus.

So einfach ist das.

Das sind in etwa meine Gedanken, als ich stehen bleibe und mir den Hals verrenke, nur ein Gedanke von vielen, die man sich am Tag so macht, und meist ist der Anlass wesentlich nichtiger.

Ich meine, so ein schöner knallroter Zufall… das gibt es nicht alle Tage.

“Ist kein Zufall, ist Zeichen”, meint der knorrige alte Pole mit dem Pepita-Hut, er sitzt auf der Parkbank. Das ist sein Platz. Ich habe ihn nicht gesehen, weil die Bank etwas im Abseits steht. Sein Gesicht ist voller Ecken und Schrunden, er sieht aus wie jemand, der viel gesehen hat im Leben. Und wie er so dasitzt, nach vorn gebeugt, die Hände überm Knauf seines Spazierstocks gekreuzt, kommt er mir vor wie ein Apostel aus alter Zeit.

“Ist Zeichen von Gott.”

Nun bin ich schon immer ein Freund von Zeichen gewesen, ich  bin empfänglich für Gottes kleine Kommentare – doch woher soll der Pole das wissen. Oder sieht man mir die Hingabe schon an? Die Verehrung? Bin ich so schwer schon gezeichnet? Eine traurige, eine tückische Zeit ist das, wo alles schon mal dagewesen ist und unschwer zu erkennen.

„Ja“, sage ich.

Ich nicke dem schmächtigen Alten zu, der im Gegenzug höflich den Pepita-Hut lupft. Dann eile ich weiter. Ich muss den Bus kriegen, ich muss nach Elberfeld, ich habe etwas zu erledigen. Ich habe überhaupt keine Zeit für knallrote Luftballons.

“Ja, scheene Tag noch”, sagt der alte Pole versonnen, und blickt nach oben.

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IMG_Treppe

Coppel-Park

8 Gedanken zu „Der rote Luftballon

    • Ja, das denke ich auch. Eine Pause, um zu erkennen was man erreicht hat, und die Basis, um zu erkennen, was man noch erreichen kann. Vielleicht ist das Wort einfach falsch interpretiert (oder gewählt). Höhepunkt bedeutet nicht höchster Punkt – sonst würde es ja niemand noch einmal versuchen. »Ich bin dort, wo ich vorher schon diverse Male war«. Wer auf dem Matterhorn war, will auf den K2.

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  1. „Gottes kleine Kommentare“ – wie gut mir das gefällt! Und wenn sie als knallroter Luftballon im Wipfel des Baumes daherkommen und man stehenbleiben muss und den Kopf nach oben wenden – dann ist es schon ein Zeichen zum Innehalten und der pepitabehütete Pole hat recht.

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