Hundegeschichten

Bis zuletzt bewohnte Großvater ein eigenes Häuschen, an seiner Seite Stina, das treue Dalmatinerweibchen. Stina war der einzige Hund, mit dem ich überhaupt so etwas wie Kontakt pflegte. Wir hatten einen Pakt geschlossen, das Dalmatinerweibchen Stina und ich. Ich streichle dich nicht, du kriegst keinen Klaps und kein Leckerchen von mir, wir gehen nicht Gassi, ja, ich habe nicht mal ein freundliches Wort für dich, so lauteten meine Bedingungen. Stina schlug ein, sie war einverstanden. Sie tat fortan, als wäre ich Luft, wenn ich in dem kleinen Häuschen zur Tür reinkam, um Opa zu besuchen. Doch es war familiäre Luft, es war Glummsche Luft, die ich mitbrachte, die mit meinem Erscheinen ins Haus wehte, das reichte Stina. Mehr brauchte es für die Hündin nicht. Sie akzeptierte mich. Und was nun mich betraf: Ich wurde von Stina nicht in den Arsch gebissen. Das war großartig. Anderen Kontakt hatte ich nicht zu Hunden. Es war jetzt nicht so, dass ich Hunde hasste, nein, ich hatte einfach keinen Draht zu ihnen wie zu Haustieren insgesamt, zu Hamstern, Hummeln, Hirschen.

Opa starb im gesegneten Alter von 95 Jahren. Kurz vor seinem Tode tranken wir einen Korn zusammen. Er dirigierte mich zum Bücherregal und ließ mich Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts aus dem Regal holen. Eine Sonderausgabe. Er grinste verschmitzt.

„Schenk ich dir, mein Junge.“

*

Karlos und ich machten Urlaub an der Algarve. Fast täglich gingen wir zum Strand runter, wo es fliegende schwarze Insekten gab, groß wie Kinderfäuste. Aber das nahmen wir in Kauf, solange nur kein Hund in der Nähe war. Hunde waren nichts anderes als Ungeheuer, deren ganzes Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet war, uns den Arsch aufzureißen. Zum Glück gab es an der Algarve weit und breit keinen Hundestrand. Wir fühlten uns sicher. Das war ein Fehler. Sagen wir, das war Fehler Nummer 1. Fehler Nummer 2: wir waren quasi dauerbekifft. Morgens gab es zum Frühstück den ersten kleinen Stickie, mittags was warmes in Form eines Haschischtees und abends diverse Traumpfeifchen. Einmal wählten wir im bekifften Kopf eine Abkürzung Richtung Strand, grandiose Idee! und fanden uns jählings auf einem Privatgelände wieder, einer weitläufigen sonnenverbrannten Prärielandschaft.

Karlos sah es als Erster.

“Was ist das dahinten, was da angewetzt kommt..?! Ist das ein Köter?” Er zeigte in die Ferne. “Oder was ist das..?”

Am Horizont das blaue Meer, davor ein galoppierendes, sandaufwerfendes Ungetüm. Es trampelte und dröhnte über den Boden, schwer wie ein Büffel, animalische Laute ausstoßend. Die Lokomotive hielt schnurstracks auf uns zu. Ich sah mich um, es waren keine hundert Meter bis zum rettenden Gatter, ich machte mich auf die Socken. Ich rannte und rannte und rannte weiter und rannte noch weiter und drehte mich nicht einmal um, als ich den Zaun endlich erreichte. Ich sprang hoch, schwang das linke Bein auf den Pfosten und setzte über, mit strauchelndem Herzen. Auf der anderen Seite angekommen, bemerkte ich, dass Karlos die restlichen Meter im Gehen, ja schlurfend zurücklegte, wie eine total kaputte Ein-Mann-Chain Gang – er konnte nicht mehr. Er war am Ende. Seine Lunge pfiff und rasselte, in anderen Zusammenhängen hätte ich von einem Eins a-Küchenkonzert gesprochen. Keine Ahnung, wie er es hinkriegte, aber er schaffte es im buchstäblich letzten, wirklich allerletzten Moment, sich am Pfosten hochzuhecheln, bevor die Töle nach ihm schnappen konnte. Als sich die Aufregung wie auch der aufgewirbelte Sand allmählich legten, erkannten wir in dem vermeintlichen Monster einen fröhlich kläffenden Windhundverschnitt, der vermutlich nach jedem Hosenbein schnappte, das sich in die einsame Gegend verirrte.

Wir schlappten zurück zum Stadt-Camping und verbrachten den Rest des Tages im von der Sonne aufgeheizten Zweimannzelt, das wir nur Il Forno nannten, den Backofen. Wir sprachen kaum ein Wort, drehten Joints, die wir Johann nannten, und rührten uns ansonsten kaum vom Fleck. Abends kamen die Mücken. Sie hatten es hauptsächlich auf mich abgesehen. Während Karlos mit zwei, drei Stichen davonkam, addierten sich meine Mückenstiche allein an den Mauken zu einem veritablen Klumpfuß. Ich sah aus, als wäre ich in frischen Zement getreten, im letzten Dick und Doof-Film.

Ha ha, machte Karlos.

Ha, ich.

*

Als Frau Moll das sechste oder siebte Mal in Hitze war, wurde es kritisch. Sie wollte endlich wissen, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Eine Hundefrau. Eine Dame. Hatte sich ihre Bereitschaft mit einem Kerl aufs Zimmer zu gehen bislang auf die zwei Tage alles erduldende Standhitze beschränkt, so präsentierte sie nun jedem durchgeknallten Crack-Köter ihre rotierende Himbeere. Selbst für den hinkenden Rory, einen uralten Dackel-Mischling, hätte sie flugs den Schwanz beiseite geschoben, um ihm Einlass zu gewähren, wäre ich nicht im letzten Moment dazwischen gegangen.

„Komm, Rory, is gut.. mach die Fliege.“

*

Vorm Lottoladen Wupperstraße lag ein Berner Sennenhund in der Nachmittagssonne. Neun Monate jung, bisschen tollpatschig, aber ein Prachtbursche von fünfundfünfzig Kilo, wie der Besitzer stolz erklärte, als er dazukam, aufgeschreckt vom Gejaule.

„Dem fehlt ein Streifen im Fell, siehst du hier, hat der Züchter moniert. Ist mir doch egal, ob dem ein Streifen fehlt, hör mal. Oder nich?!“

„Na klar – ist ja kein adidas-Hund“, pflichtete ich ihm bei.

Gegenseitig am Hintern schnüffelnd umrundeten sich Frau Moll und der Berner Sennenhund, ein sabberndes Ringelrein, bis Frau Moll plötzlich stehen blieb und den Schwanz hochnahm. Begleitet von leisem Junkern begann ihre Vulva rhythmisch zu zucken, ein rosa Fischmäulchen, in Zeitlupe und Großaufnahme. Ich wusste ungefähr, was es bedeutet, wenn eine  Vulva so loslegt, aber ich war dermaßen fasziniert von dem Anblick, dass ich nicht eingriff. Zumal auch der Sennenhund, kaum dem Welpenalter entwachsen, nicht wusste, wie ihm geschah. Ungelenk versuchte er aufzusteigen, rutschte ab, versuchte es erneut, doch es war nicht das, was Frau Moll sich von einem Geschlechtsakt versprochen hatte. Das war doch Kinderkram. Sie schüttelte den jungen Burschen wieder ab. Der Rüde war ganz durcheinander und ließ den Kopf hängen. Enttäuschung auf ganzer Linie flutete das Trottoir. Er glotzte durch seine Beine hindurch auf dieses dürre Ding, das unnütz aus seinem Unterleib stand wie roter Spargel. Der arme Bursche war so außer sich, dass er sich fiepend niederlegte und an dem Ding schleckte und hmmmiamm… what a wonderful world!

(Ich verbürge mich für dieses Bild vorm Lottoladen Wupperstrasse. Ist wahr. Ohne Abstriche.)

„Hier, Himbeere“, zeigte Frau Moll einem zufällig des Weges kommenden kastrierten Rhodesian Ridgeback, was en vogue ist. Dann blickte sie hochmütig und gleichzeitig resigniert zu mir hoch: Alter, komm, lass uns reingehen in die Lottobude und einen Schein ausfüllen. Meinetwegen Rennquintett. Das bringt nichts hier. Dat gibt nix mehr.

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Der Hund ist der Mittler zwischen Mensch und Tier, so die Gräfin. Der Hund übertritt die Grenze zum Menschen mit einer Pfote und nimmt Kontakt auf. Die Hauskatze dagegen bleibt immer sie selbst, den Übertritt zum Mitgeschöpf schafft nur der Hund.

„Und dass er einem hin und wieder ins Zimmer kackt, sehe ich mal als Liebesbeweis an.“

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Sonntags, nach dem Sommerunwetter. Der Klauberger Bach, sonst ein Rinnsal, zeigt seine lange, weiß schäumende Zunge und prescht durch die Wiesen, wie ein Cartoon. Beim Abenteuer-Spaziergang kommt uns ein Collie entgegen. Wobei – ein echter Collie ist das nicht. Ein Mischling ist das. Bisschen wacker, bisschen träge. Bisschen Collie, bisschen Münsterländer Camping Mobil.

„Ist ein Fundhund aus Bottrop“, erklärt die Besitzerin, eine junge Frau mit hartem Party-Mund. „War ne Zeitlang bettlägerig“, fährt sie fort. „Herzklappenfehler und Probleme beim Autofahren. Aber versteht sich prima mit Schweinen.“

Moment mal. Spricht die von ihrem Hund jetzt?

„Wir müssen mal weiter“, sag ich.

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In „Triumph des Todes“ von Otto Dix ist der Hund das einzige der abgebildeten Lebewesen, das den zerstörerischen Kern des Königs erkennt. Es ist der Hund, der die Welt in ihren menschlichen Zusammenhängen zu durchschauen vermag, der alles bis ins Detail aufsaugt und durchblickt. Es ist nicht das alte Weib, das in Dix‘ Gemälde die Zerstörungskraft der Menschheit begreift, es ist nicht das Neugeborene, nicht der Soldat.

Es ist der kleine Hund.

*

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Spaziergänge mit struppigen Hunden sind eine gesunde Sache, sagte der Doktor mit dem hohen Blutdruck im Gesicht, schon wegen der vielen Hundehaare, die man beim Gehen einatmet und die sich weiträumig ums Herz legen und es abfedern.

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Ein Wetterchen ist das, wie auf Saltkrokan. Nur dass einem statt des guten alten Bootsmann der kleine Beagle begegnet, der wie ein krummbeiniger Innenminister durch den Coppel-Park patroulliert. Der Minister hat ein Handicap. Er ist geschwächt von Leptospirose, einer bösen Infektionskrankheit. Einmal im Monat verpasst ihm die Tierärztin eine Depotspritze.

„Was? Wer musse ins Krankehaus? Du..?“

Die hakennnasige alte Kroatin, Frauchen des Beagle, kommt aus den Büschen getappert, einen halben Strauch hinter sich herziehend.

„Ich? Ins Krankenhaus..? Wieso?“ sag ich überrascht.

„Du gerade Krankehaus gesagt.“

„Ach so.. nee. Ich muss nicht ins Krankenhaus. Nee. Da haben Sie was falsch verstanden..“

Man begrüßt sich. Man kennt sich. Den Hund zum Kacken ausführen bedeutet ja immer auch andere Leute treffen, die ihren Hund zum Kacken ausführen. Man mag sich, manchmal, meistens nicht. Die alte Jugoslawin mag ich. Sie ist verschroben, sie ist in Ordnung. Ehrlich gesagt: Sie hat sie nicht mehr alle.

„Ist Bäumchen für unsere Garten“, spricht sie mit rauchiger Stimme und blickt den Strauch an. „Du muss ins Krankehaus?“

„Wer sagt das??“

„Du.“

„Nein, nein, nee…“

„Muss aufpasse! Dahinte laufe zwei Mann Streife vome Ordnungsamt, die machen Kontrolle – die Schweine! Fünfundzwanzig Euro Strafe für nix angeleint, aba ich bezahl schon scheise teure Hundesteuer in Monat für ganze Kacka hier!!“

Die Alte ist in Ordnung.

*

*

Ich dreh mit dem neuen Hund eine Runde durch die Anlagen und sehe in einiger Entfernung Homer und sein Herrchen den Weg runterkommen. Homer ist ein dicker schwarzer Mischling mit offenem operierten Arsch, wo zuvor Geschwülste saßen, und sein Herrchen ist ein alter Trinker, der seit dem Tod seiner Frau jeglichen Halt verloren hat und sich langsam zu Tode säuft, mit seinen Kumpels oben in der Säuferecke, da, wo die Sonne am längsten hinscheint.

Von weitem sieht der Knabe richtig gut aus heute, das lange graue Haar ordentlich nach hinten gekämmt. Er hat sogar den abgewetzten verbeulten Trainingsanzug, der aussieht, als wüchsen darunter Kochtöpfe, endlich mal gewechselt, und der Gang ist fest und sicher, für seine Verhältnisse.

Je näher wir uns allerdings kommen, desto mehr muss ich mein Urteil revidieren – und als wir uns schließlich auf gleicher Höhe begrüßen, identifiziere ich nicht nur den ollen Anzug als das mir sattsam bekannte Kochtopf-Desaster, auch das ordentlich gekämmte Haar entpuppt sich bei näherem Hinsehen als morgendliche Gegenlichttäuschung. Nein, es ist alles wie immer, er schlurft kränklich-gelb daher und sieht aus wie ein vor fünfundzwanzig Jahren wegen mangelnder Nachfrage abgesagtes Trucker-Festival. Dazu dieser rangniedrige Hosenstallgeruch, den sein Hund hinter sich her zu ziehen pflegt, Homer, der stinkiger Straßenköter aus Andalusien. Er müffelt, als habe er sich in Rekordzeit die Beine runtergeschissen. Er hört für keine 10 Cent und hat für Autoritäten nur ein schlappes Achselzucken übrig. Haben Hunde denn Achseln? Na sicher.

Das zuckt doch.

*

Es war immer das gleiche. Wenn Frau Moll in der überhitzten kleinen Lottobude auf der Wupperstrasse ihr Leckerchen in Empfang nahm, biss sie aus lauter Gier beinah in die Finger, die sie fütterten. Die beiden Damen von der Lottoannahmestelle mussten schon fix aufpassen, wollten sie auch nach der Fütterung weiterhin Lottoscheine in den deutschen Lottokreislauf einspeisen: per Hand.

*

Die Abendrunde mit dem Hund ist traditionell meine Sache, wie auch die Früh- und die Mittagsrunde. Es kommt vor, dass ich mich dabei langweile. Dann halte ich mir die Nase zu und täusche mit quäkender Bademeisterstimme einen Bademeister vor, mitten im Wald, „Frau Bückeburg, bitte zur Kasse! Frau Bückeburg, bitte!“ Oder auch: „Frau Bückeburg und andere Frauen, die sich ne Mark verdienen wollen, bitte beim Bademeister melden!“

Da Leo, der neue Hund, auf alles Fremde allergisch reagiert, auch auf fremde Stimmen, die aus dem neuen Herrchen kommen, bleibt er wie vom Blitz getroffen stehen. Rührt sich nicht von der Stelle. Bellt zur Sicherheit zweimal in meine Richtung, das Köpfchen zur Seite geneigt, als Zeichen höchster Irritation: Wieso spricht ein fremder Bademeister aus dem neuen Herrchen? Hat der einen Knall? Und wer zum Henker ist Frau Bückeburg!?

Jedenfalls, mir ist nicht mehr so langweilig.

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Justus, ein kauziger kleiner Mischling, zieht gern alleine los. Er hat gelernt, das Verhalten von Menschen zu deuten, die an Fußgängerampeln stehen und auf grün warten. Gehen sie los, kann auch Justus die Straße in Ruhe überqueren, bleiben sie stehen, bleibt auch er stehen. Es ist tagtäglich dieselbe Strecke, die Justus zurücklegt, man kann die Uhr nach ihm stellen. Vom Marmorhandel seines Herrchens am Ufergarten geht es Punkt zwölf quer durch die Stadt zur Parkanlage Hippergrund, immer brav den Bürgersteig entlang, wie ein strenger Mathelehrer. Schon als Junghund büxte er bei zahllosen Gelegenheiten aus, sein Herrchen unternahm ebensoviele Versuche, ihn vom Ausbüxen abzubringen, es half alles nichts. Justus ist und bleibt die Bürgersteig-Variante eines Streuners. Unterwegs sammelt er angebissene Butterbrote auf, die Schulkinder achtlos weggeschmeißen und verdrückt sie samt der knisternden Butterbrottüten. Ein verfressenes kleines Kerlchen ist unser Justus, aber immerzu top gebürstet und getrimmt, darauf legt er Wert. So ist das mit Justus vom Ugfergarten, der gern mal auf eigene Faust loszieht.

*

Bounce ist ein Boxermix, aber was für einer. Boxer sind nie schön anzusehen, die Rotzfahnen ins Fell eingearbeitet, aber Bounce setzt der Hässlichkeit die Silberkrone auf. Ihm, einer seltenen Kreuzung zwischen Boxer und Riesenschnauzer, wachsen silberne Löckchen aus dem Schädel. EIN BOXER MIT SILBERLÖCKCHEN! AUF DEM KOPP! Wobei, Bounce geht ja noch. Der hält wenigstens die Fresse. Sein sportliches Herrchen (41) dagegen faselt wie entfesselt und knackt mit den Fingerknöcheln, als wären es Wasserpumpenzangen. Herrchen betreibt gemeinsam mit seiner Dauerverlobten Katharina das Sportstudio Katharina, Schwerpunkt Karate für alle. Nein, nicht Karate, Karateee. Für alleeee. Als junger Bundeswehrsoldat wurde Herrchen in den westdeutschen Karateee-Juniorenkader berufen, erzählt er. Darauf ist er heute noch stolz, ebenso wie auf die Tatsache, 25 Jahre Leistungssort unverletzt überstanden zu haben.

„Ich bin jetzt 41 und noch nie wirklich verletzt gewesen“, wiederholt er sich innerhalb von zehn Minuten zum dritten Mal, was den Verdacht nahelegt, dass zumindest in seinem Kopp nicht alles unverletzt geblieben ist. “In 25 Jahren nicht, und wisst ihr auch, warum? Weil ich nie einseitig Kampfsport betrieben hab. Ich hab immer auch Ausgleichstraining gemacht. Das ist mein Geheimnis.“

Immerhin, er hat ein Geheimnis. Hat ja nicht jeder. Er schleppt sich in einer schiefen Körperhaltung neben mir her, dass ich schon fürchte, er kippt gleich links den Abhang runter und bricht sich den Buckel, der alte Ausgleichssportler. Sein potthässlicher Hund drückt sich eng an den Bäumen entlang, damit der Nieselregen ihm nicht die Löckchen plättet und das Silber aus dem Pelz wäscht, womöglich.

Leo ist gut drauf, unser neuer Hund. Er hüpft so froh durchs Gelände, dass das Herrchen von Bounce nachfragt, ob bei ihm, Leo, ein Känguru mit drin gewesen sei, in der Zuchtfolge.

„In der Zuchtfolge!“ wiederhole ich. „Ha! Genau!“

Moment. War das ein Witz? Ich komme langsam nicht mehr mit. Ich lache über alles. Oder auch nicht.

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„SAG MAL, WO HAST DU DEUTSCH GELERNT?“ staucht die kroatische Nachbarin die Türkin zusammen, die über ihr wohnt: „BEI SCHÄFERHUND??!“

*

*

Rita im Park getroffen, mit Shiva. Shiva ist eine devote Hündin. Wenn sie einen mit ihren übergroßen traurigen Teddybäraugen anschaut, kann man gar nicht anders, als sie zu streicheln und liebevoll mit Buchstaben einzudecken. Nur das Frauchen von Shiva kann das nicht. Das Frauchen von Shiva ist einsam und beseelt von einem heiligen Zorn auf die ganze Welt, einem Zorn, den sie zunehmend weniger kontrollieren kann.

Man hört die beiden schon von weitem.

„Ich trete dich in den Arsch! Du Mistvieh! Du sollst stehen bleiben!!“

Es ist Frauchen auch egal, ob Leute vorübergehen und den Kopf schütteln. Im Gegenteil: je unterwürfiger der Hund, desto zorniger Rita. Wobei, ob sie nun wirklich Rita heißt, wer weiß das schon. Sie sieht eher aus wie die Hexe Abraxas, und sie hat immer schlechte Laune. Sie fühlt sich betrogen vom Leben. Ständig geht alles schief. Selbst die Bewerbungsfotos, die sie für teuer Geld im Fotofachgeschäft anfertigen lässt, sehen nach Geknipse aus. „DIE SIND DOCH VOLL SCHEISSE!“ ist sie vom Ergebnis deprimiert. Sie findet alles Scheisse. „ICH LEBE IN SCHEIDUNG, DAS IST VIELLEICHT EINE SCHEISSE! ABENDS ALLEIN VORM FERNSEHER SITZEN UND WHISKY SAUFEN, WAS IST DAS EINE SCHEISSE!“ Arbeitsamt ist scheisse. Der Hund ist so was von scheisse. Sie scheisst eine Viertelstunde lang um sich. Sie glaubt, ihr Leben wäre anders verlaufen, hätte sie jemals eine zweite Chance erhalten, und nicht nur dritte Zähne. Ha!

Ja.

Unklar bleibt, was vorgefallen ist, was der Grund sein könnte für die heutige Missstimmung zwischen Frauchen und Shiva.

„Der Grund? Die Sau hat mir die Tagesdecke zerbissen, in hundert kleine Schnipsel! Nur weil sie mal eine Stunde allein zu Hause bleiben musste, das Frollein! Die Fotze!“

„Schon wieder?“ frag ich, während Shiva mit eingeklemmten Schwanz daneben steht.

„Was meinst du mit schon wieder?!“

„Na, das mit der Tagesdecke hast du mir doch letzte Woche schon erzählt.“

Sie antwortet nicht. Ihre Nasenflügel pumpen. Gleich schießt Strom heraus, denk ich.

Intern läuft Rita bei uns als „Krich-krich-krich“. Die Gräfin und ich haben sie so getauft, weil sie ihrer Shiva, als die noch ein niedlicher Welpe war, immerzu Stöckchen geworfen hat, begleitet von geradezu soldatisch strammen Anfeuerungsrufen: „Krieg den Stock, Shiva! Krieg! Krieg! Krieg!“, aber eben auf die verkürzende bergische Art, also mit -ch statt -g und einem kurzem i:

„Krich! krich! krich!“

Rita ist immer übel gelaunt. Sie ist einsam, sie hat keinen Mann, sie ist nicht lesbisch, sie hat keinen Job, sie hat nur einen Hund, den sie nicht mehr leiden kann, seitdem er kein Welpe mehr ist und jedes Stöckchen verschmäht, das sie ihm wirft, sie hat nur eine tiefe soldatische Stimme und sie wäscht sich nicht mehr. Wozu auch? Für einen Hund, dem sie augenscheinlich nichts mehr abgewinnen kann?

Die Augen tief in den Höhlen, wie eine Eule, gerade vom Baum gestiegen, stiert sie mich an an diesem Januarmorgen und erzählt mit Schaum vorm rissigen Mund vom Ordnungsamt, das sie in den Anlagen ertappt hat, in einem Moment, als Shiva nicht angeleint war. Shiva ist nie angeleint. Fünfundzwanzig Euro Strafe, bar beim Sheriff zu berappen. Was sind schon fünfundzwanzig Euro in einem Land, wo die Siegerinnen gern oben schwimmen und tote Frau spielen, damit die Verliererinnen nicht an sie herankommen. Wo man gern unter sich bleibt, unter seinesgleichen.

Wo Geld entweder ein Piss ist oder ständiges Hochwasser.

„Fünf-und-zwan-zig Eu-ro!“ rupft Rita die Zahl empört auseinander.

Die Sache mit dem Ordnungsamt hat Rita bereits zweimal der Gräfin erzählt, mit Schaum vorm rissigen Mund, was wiederum die Gräfin mir erzählt hat, ich weiß also Bescheid von der Sache, tue aber so, als wüsste ich nichts davon, damit Rita was zu erzählen hat, was zum Abladen, wir alle brauchen hin und wieder ein Gegenüber zum Abladen, mit Schaum vorm Mund.

Ich bin eine fröhliche Müllhalde, als ich weiterziehe.

*

„Und wenn man stirbt, wo kriegt man gutte Mensch..? Wo kriegt man noch gutte Mensch heute..!!?“

Es ist der Tag nach Vaters Begräbnis, als ich im Coppel-Park auf die hakennasige alte Jugoslawin stoße. Sie hat die fatale Angewohnheit mir zu begegnen, wenn es etwas zu sagen gibt, eine Ansage, ein Statement, eine Veränderung in meinem kleinen Leben.

Ihr Beagle ist vor zwei Jahren gestorben, sie kommt über seinen Tod nicht hinweg. Der tapfere kleine Rüde, der an Leptospirose litt, wurde fast achtzehn Jahre alt. Umgerechnet war er zum Schluss ein 125jähriger Knacker.

„Achtzehn Jahre“, staune ich, „das muss man erstmal schaffen..“

„Ja, war gutte Hund..“

„Warum holen Sie sich nicht einen neuen?“

Ich meine, die wenigsten Menschen sind gern allein. Man sollte wenigstens einen Hund haben, der einen ab und zu anpinkelt, sonst hält man sich irgendwann für unanpinkelbar. Man verlernt den Umgang mit Geschöpfen, man verliert das Gespür, wie andere einen sehen. Wir sind nicht gemacht zum Alleinsein. Wir brauchen Gefährten.

„Sie können doch gut mit Hunden“, sag ich zur Jugoslawin, „und Sie sind noch fit.“

„Noch fit? Ich..?“

„Natürlich sind Sie noch fit. Ausserdem müssen Sie sich nicht unbedingt einen Welpen holen, es gibt ja auch ältere Hunde aus dem Tierheim.“

„Ja, fit, fit.. fit schon“, knurrt sie. „Aber wer weiss, wie lange noch. Ich bin 74. Und was, wenn ich mir morgen eine Hund hole und übermorgen tote umfall? Wasse dann!? Wo kriegt man dann noch gutte Mensch für Hund? Wo kriegt man noch gutte Mensch heute!“

15 Gedanken zu „Hundegeschichten

  1. in der nähe direkt vor dem Büdchen dorperstrasse
    da lebte mal eine schwarzweisse ,schwarzgefleckt deutsche Bulldogge
    die war riesig aber lieb und beschützte den kleinen eckigen garten aus wiese mit stoppeln
    so einen Hund brauch ich auch!

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