Raunacht

Eine kleine Episode erzählt davon, wie Mutter funktionierte, wie viel Kraft sozusagen anonym in ihr wohnte, welche Macht ihr Geist hatte, ohne dass sie selbst wirklich davon wusste.

Mutter hatte Verstopfung. In der Hausapotheke war nichts passendes aufzutreiben, trotz all der Pillen, Fläschchen, Arzneitees. Zudem war langes Osterwochenende, die Geschäfte hatten geschlossen, und für die Not-Apotheke, so fand sie, war die Not nicht groß genug. Außerdem hatte sie keine Lust, sich ins Auto zu setzen, und Vater konnte schon nicht mehr Autofahren. Man hatte es ihm verboten. („Wenn ich könnte, würde ich meinen Führerschein einklagen!“ jammerte er. Als wir ihm klarmachten, dass sein Lappen gar nicht weg war, sondern dass wir ihn einfach nicht mehr fahren ließen, weil es zu gefährlich geworden war, sagte er nichts mehr. Bis auf ein kleines „dann driet euch doch jet“, was so viel bedeutet wie na, dann scheißt euch doch was.)

Mutter klingelte bei der freundlichen Nachbarin, die auf derselben Etage wohnte und nicht nur freundlich, sondern auch fast taub war, trotz ihres noch jungen Alters. Wenn man bei ihr schellte, musste man Wartezeit in Kauf nehmen, bis jemand aufmachte. Es sei denn, eins der Kinder war daheim oder der Ehemann, ein hitziger Jogger, dessen Laufschuhe sich vor der Etagentür türmten. Die Nachbarin fand ein verschreibungspflichtiges Abführmittel in ihrem Vorrat, das es in sich hatte, wie Mutter wusste, sie hatte es selbst schon einmal genommen, in Zäpfchenform, und war damals den halben Tag nicht vom Pott gekommen.

Sie packte die beiden unscheinbaren weißen Abführpillen zu dem Dutzend anderer verordneter Medikamente hinzu (gegen Venenleiden, hohen Blutdruck, Tinnitus etc.) und spülte alles wie gewohnt mit einer halben Tasse Tee runter. „Obwohl ich den Dingern nicht traute“, sagte sie später. „Die waren eigentlich zu stark für mich.“ Tatsächlich setzte die erwünschte Wirkung am nächsten Morgen ein. Das war schon kein Durchfall mehr, so Mutter später, das war eine ausgewachsene Diarrhoe. Ist das nicht dasselbe? wollte ich einwenden, aber wer fällt seiner Mutter schon ins Wort, wenn sie einmal in Schwung ist, ob nun beim Erzählen oder auf dem WC. Wie auch immer, es hatte geklappt, der Stuhlgang war immens, wenn auch voll fluffig. Warum erzähle ich diese Geschichte also überhaupt? Ganz einfach. Am nächsten Tag fand Mutter beim Aufräumen die beiden kleinen Hammerpillen auf der Wohnzimmercouch, genau in der Spalte zwischen zwei Loungekissen. Sie mussten ihr beim Einfüllen in die Tablettenbox unbemerkt daneben gefallen sein.

„Und Mutter hat trotzdem geschissen“, konnte sich Vater nicht verkneifen, „wie ein Bulle“, aber da man seiner Bemerkung eine gewisse Ehrfurcht anhörte, (es klang, als lüftete er einen Riesenhut), kam er mit einem Rüffel davon, in Form eines mittelschwer eskalierenden Seitenblicks.

*

Da haben wir Glück gehabt, erzählte Mutter, Glück fürs Leben.

Gegen Ende des Krieges waren meine Mutter und ihre Schwester auf Kinderlandverschickung in Brandenburg. Meine Mutter war 16, Sonja 14. Im ganzen Dorf waren die beiden blonden Mädels aus dem Rheinland die Attraktion. Im Frühjahr 1945 standen die Amerikaner schon in der Nähe und rückten weiter vor. Zu weit für den Geschmack der mit den Amis verbündeten Russen, die dieses Gebiet in Brandenburg für sich in Anspruch nahmen, also zogen die GI’s sich wieder zurück. Selbst deutschem Militär wurde der Rückzug gestattet, doch Zivilisten nicht, sie kamen nicht mehr raus dem Gebiet.

Den russischen Soldaten eilte der Ruf voraus, nicht viel Federlesen mit Gefangenen zu machen, und was das für junge deutsche Mädchen bedeutete, konnte man sich denken. Als es hieß, die Russen kommen, versteckten sich die Schwestern in der Scheune eines Bauernhofs. Sie hörten die Stimmen der russischen Soldaten, die sich in gebrochenem Deutsch nach den zwei blonden deutschen Frauen erkundigten. Wo blonde Frau? hörten sie, und die Frage kam immer näher.

Wo blonde Frau??!

Sie hörten das Schmatzen der nassen schweren Kampfstiefel, ihr Umherirren auf Kies. In Panik flüchteten die Beiden in der Dunkelheit über die Felder ins nächste Dorf. Dort waren noch einige Deutsche stationiert, die meine Mutter in den Wochen zuvor kennengelernt hatte.

Die Schwestern vertrauten sich den Wehrmachtssoldaten an und kamen im letzten Augenblick aus Brandenburg heraus, bevor es von den Russen eingenommen wurde. Man tarnte sie als deutsche Soldaten. Das Haar hochgesteckt und im Kragen der Uniform verborgen flüchteten sie per Eisenbahn nach Hannover. Dort versteckte (und verpflegte) sie ein hoher Offizier, höchstpersönlich, wie Mutter erzählte. Er versorgte sie mit Lebensmittelmarken bis sie schließlich zwei Tage später auf einem offenem Zug, wie die Tramps, bis in die Heimat nach Solingen reisen konnten.

Würde Mutter mir die Geschichte in heutiger Zeit erzählen, ich würde viel mehr nachfragen und versuchen, mir das Geschehen fassbarer machen. Aber auch so war ich jedes Mal starr vor Angst, wenn sie zu der Stelle kam, wo die Schwestern in der Scheune festsaßen und den näherkommenden Stimmen der Soldaten lauschten. Ich stellte mir vor, was passiert wäre, wenn sie nicht hätten fliehen können, wenn man sie erwischt hätte. Und vergewaltigt. Vielleicht nicht einmal, sondern ein Dutzend Mal, wie es so vielen Frauen widerfahren ist, egal auf welcher Seite. Wie wäre Mutters Leben dann verlaufen? Hätte sie dieses Trauma weggesteckt? Wäre sie überhaupt wieder mit meinem Vater zusammengekommen, nach seiner Rückkehr aus britischer Kriegsgefangenschaft? Hätte sie je wieder Vertrauen schöpfen können zu einem Mann? Hätte es uns Kinder überhaupt gegeben? Und alles hing davon ab, ob ihnen die Flucht aus der Scheune gelingen würde, im Frühjahr 45.

*

Das Schreckliche am Tod ist das Gefühl, als wäre nie etwas gewesen, ja, als hätte dieses Leben niemals stattgefunden.

Als hätte es sich jemand bloß ausgedacht.

Als wäre bloß der Tod real.

*

„Ist das Radio kaputt..?“

„Nein“, antwortete Mutter. „Wie kommst du da drauf?“

„Na, weil es nicht läuft. Du hörst doch immer Radio beim Spülen, und so..“

Ich war ein bisschen aufgebracht. Immer mehr kleine Rituale gingen den Bach runter. Zu Weihnachten baute Vater nur noch selten das mittelalterliche kleine Dorf unterm Christbaum auf, das Dorf mit den Kutschen und Burgen, dem duftendem Moos und den Puderzuckerwegen, wie er es seit unseren Kindertagen gemacht hatte. Dann verkauften meine Eltern ihren Wohnwagen, samt festem Stellplatz. Viele Jahre waren sie jedes Wochenende zur Bever-Talsperre im Oberbergischen gefahren, bis sie plötzlich meinten, dass es nun genug sei, dass sie nun zu alt für einen Wohnwagen wären. Und jetzt lief nicht mal mehr Radio Luxemburg, wenn ich ab und zu zum Essen kam und Mutter beim Abwasch half.

Ich war fertig mit der Welt.

„Ich höre schon lange kein Radio mehr in der Küche. Es ist dir bloß noch nicht aufgefallen“, meinte Mutter.

Ich wartete auf das leise Lächeln in ihrem Gesicht, wenn sie es gut mit jemandem meinte. Ein stilles In sich hinein-Lächeln, wie bei einem Goldschürfer, der ahnt, dass er auf eine Ader gestoßen ist, tief im Unterbauch. Aber sie konnte auch anders, sie konnte auch laut herausplatzen, wobei sie den Kopf schwungvoll in den Nacken warf, damit sie mehr Platz im Hals hatte – mehr Platz zum Lachen.

„Und warum?“

„Warum es dir noch nie aufgefallen ist..?“

Sie reichte mir zwei abgetrocknete Dessert-Tellerchen, und ich öffnete den Hängeschrank, um sie zu dem anderen Geschirr zu stellen.

„Nein, warum du keine Musik mehr hörst.“

„Warum mag man keine Musik mehr hören..“, meinte Mutter, wie zu sich selbst. Dann sah sie mich an, und aus der Bemerkung wurde wieder eine Frage. Niemand sagte etwas. Wir hörten Geräusche im Flur. Vater schlurfte ins Schlafzimmer, um sein Mittagsschläfchen zu halten. Ich sah in die traurigen Augen meiner Mutter und wünschte mir, sie in den Arm nehmen zu können. Ich stellte die zwei kleinen Teller ab, und schloss sie in den Arm.

*

Vater lag seit Wochen in der Klinik und Mutter war allein zu Haus, das war sie nicht gewohnt. Ihr fehlte das Hintergrundrauschen einer fünfzig Jahre währenden Ehe.

“Ich denk immer, der muss doch gleich um die Ecke kommen..”

Kam er aber nicht.

Von der schweren Herz-OP erholte sich Vater nur langsam. Er litt unter dem Durchgangssyndrom und war oft so durcheinander, dass er sich in Kriegsgefangenschaft wähnte. „Was kochen die Tommies für einen scheiß Kaffee!“ schrie er und schlug die verschorften Hände vorm Gesicht zusammen. “Das mach ich nicht mehr mit!”

Dass er nicht mehr richtig bei Verstand war, setzte Mutter besonders zu. Dass er dement bleiben könnte. Es rührte an ihrer gemeinsamen Würde. Wenn ich sie besuchte, saß sie verloren im Esszimmer und blickte auf die kaum befahrene Straße. Eine alte Frau mit dünnem grauen Haar, die mit verweinten Augen ins Nichts starrte und jeden Tag mehr abmagerte. Sie wog bald keine hundert Pfund mehr. Wir alle machten uns Sorgen, wie es weitergehen sollte, niemand hatte eine Antwort. Vater kam nicht um die Ecke, Mutter baute in rasender Geschwindigkeit ab.

Eine Erkältung mit Reizhusten wollte trotz Antibiotika nicht weichen, dazu plagten sie hartnäckige Schmerzen in Rücken und Unterbauch, wo ihrer Auffassung nach der Sitz der Seele war. Sie hatte unablässig Harndrang. Nachts musste sie bis zu zehnmal raus. An Tiefschlaf war nicht zu denken. Weil sie so schwach geworden war, spendierte die Krankenkasse einen Toilettenstuhl und einen Rollator, den sie aber kaum nutzte und stur als Teewägelchen verwendete.

Auf Anraten der Ärzte schauten wir uns für Vater vorsorglich nach einem Pflegeheim um. Noch aber bestand Hoffnung, dass die Psychose sich zurückbildete. Noch duftete es in der großen Dachwohnung nach ihm, noch saß Mutter zwischen den gemeinsam angeschafften Möbeln der Interlübke-Linie und hielt Wache.

„Ich weiß nicht mehr, wo ich es suchen soll“, seufzte sie.

Zeitlebens mochte ich ihre Sprache. Sie benutzte gern solch wunderbare Worte wie Huschhascheln, was so viel wie hin- und her räumen, kramen bedeutet, oder das genialische Juppiejagen. „Na, geht ihr beiden Juppiejagen?“ fragte sie gutgelaunt, wenn Karlos mich abends abholte und wir auf eine Fete gingen.

Um Mutter zu besuchen, nahm ich den Weg durch die Hofschaft Klauberg, vorbei am staubigen Fußballplatz, auf dem ich die schönsten Kämpfe meiner Jugend ausgetragen hatte: Elfer-Raus und Fünf-Minuten-Schießen. Mit jedem Schritt durch den Klauberg stieg ich tiefer in meine Kindheit, einem Kokon aus Füllerpatronen, Asterix-Heften und nicht geputzten Fußballschuhen, die fünfzig Pfennig Strafe nach sich zogen, wenn Sonntags ein Spiel mit dem RSV anstand, allerdings nicht am Klauberg, sondern in Kohlfurth. Alles geriet durcheinander seit Vaters Krankheit.

Wenn ich die Schillerstraße erreichte und Mutter per Summer die Haustür öffnete, ließ ich den Hund von der Leine und sprang wie früher die Treppe hoch, nahm ein halbes Dutzend Stufen auf einmal und zählte die grünen Kacheln im Wandmosaik, bis ich oben angekommen war.

„Da seid ihr ja.. kommt rein..“

Mutter schlurfte voraus ins Esszimmer, in zu groß gewordenen Pantoffeln, und setzte sich ans Fenster. Es war jedes Mal das gleiche Bild. Sie saß im Esszimmer, das unser altes Kinderzimmer war, und schaute betrübt auf die Straße, während Vater zur selben Zeit, aber dreißig Kilometer Luftlinie entfernt, zum Parkplatz der Landesklinik hinunterblickte, in der Hoffnung, Mutter würde vielleicht zu Besuch kommen. Einer hielt Ausschau nach dem anderen. Der Blick ins Leere war ihr letztes Band.

Damit Mutter wenigstens eine Kleinigkeit aß und nicht bei lebendigem Leib skelettierte, kochte ich nach ihrer Vorgabe unkomplizierte Speisen wie Spinat mit Spiegelei, oder wir machten eine tiefgefrorene Pizza warm und teilten sie uns. Ich war froh, wenn ihre Stimme etwas Farbe gewann und nicht mehr ins Schlingern geriet, wenn ihr Mund ein Lächeln aufbaute und zu schnattern begann, wie in besseren Tagen, die noch gar nicht so weit zurücklagen, gerade mal eine viertel Seite im Fotoalbum.

Es sind ja immer die kleinen Momente, die einen anrühren, die das Herz absaufen lassen. Da war der Moment, als ihr Hals übergroß in mein Blickfeld rückte, die Falten wie Jahresringe, da war der Moment, als sie sich fürs Mittagsschläfchen hinlegte. Ich zog ihr die Strümpfe aus und deckte sie zu, wie ein kleines Schulmädchen lag sie da, ein kleines Mädchen mit spitzem Näschen und jahrtausendealter Seele.

Zuvor, als ich das Bett hergerichtet hatte, musste jede der diversen Über- und Unterdecken exakt an ihrem Platz sein, und wehe, das Bettlaken war nicht glatt gezogen und warf Falten und Kniffe. Das konnte ihr das ganze Mittagsschläfchen verhageln.

„Davon kriegt man lächerliche Beine“, sagte sie.

„Lächerlich..?“ Ich verstand nicht.

„Kennst du das nicht? Wenn es juckt, als würde man auf Zwiebackkrümeln liegen.., lächerliche Beine eben.“

Ich machte ihr eine Wärmflasche und rieb ihr den gepeinigten Rücken mit Pinimentol ein. Dabei meinte ich es zu gut. Statt wie empfohlen einen wenige Zentimeter langen Strang aufzutragen, cremte ich sie großzügig ein und ging nach Hause. Am frühen Abend ging das Telefon. Schon das Läuten verriet, dass etwas nicht stimmte. Mutter war aufgebracht.

„Ich konnte nicht einschlafen heut Mittag, so kalt war mein Rücken. Ich war ja richtig eingekleistert!“ Ihre Stimme hatte den altbekannten Drive. „Mir war so kalt, als hätte ich im Eisfach gelegen. Oder wolltest du mich schon einfrieren?“

„Oh.. äh. Natürlich nicht. Aber die Wärmflasche war in Ordnung, oder?“

„Die Wärmflasche? Ja, die Wärmflasche.. Die war so heiß, es hat mir fast den Bauchspeck verschröggelt.“

„Der Bauchspeck? Was für ein Bauchspeck?“

Sie ließ den Einwand nicht gelten.

„Erst hat mich die Wärmflasche fast verbrannt, dann kühlte sie so schnell ab, dass ich gefroren hab wie ein Schneider. Ich war voll am bibbern!“

Es dauerte eine Weile, bis sie mein Lachen hörte und ebenfalls zu lachen begann. Erst nur halbwegs besänftigt, dann lauter als ich. Es war das letzte Mal, dass ich sie so lachen hörte.

*

Mutter lacht, mein Vater blickt skeptisch in die Runde (etwa 2001)

*

Sie starb vor sieben Jahren in der 351. Nacht des Jahres 2010, dem 27. Dezember, der Raunacht. Das letzte Mal, dass wir sie lebend sahen, zwei Tage vor ihrem Tod, war Heiligabend. Wir besuchten sie in der Klinik. Sie scherzte, dass sie ja schon deswegen gesund werden müsse, um endlich bei Aktion Mensch abzusahnen, wo sie ein Dauerlos hatte.

„Eine Million“, wünschte sie sich.

„Und dann?“ fragte ich, „was machst du mit der Million?“, obwohl ich genau wusste, was kommen würde, aber ich wollte es hören.

„Dann nehm ich euch alle mit.“

„Wohin?“

Sie zwinkerte.

„Weg hier.“

*

Das Zimmer des Abschieds auf der Intensivstation. Sie lag mit dem Kopf zum Fenster, in der Schneise, in der das dämmrige Licht einfiel an diesem Dezemberabend, und ich bewunderte diesen prächtigen, beinah dem Hinduismus huldigenden Leberfleck auf ihrer Stirn, der immer prächtiger geworden war, je mehr sie abmagerte.

Ihr blasses wächsernes Antlitz, die spitze Nase, wie Toblerone.

42 Gedanken zu „Raunacht

  1. Ergreifend. Einfach wunderbar als Würdigung zum 7. Todestag.
    Eines hab ich nicht verstanden:
    „Ich weiß nicht mehr, wo ich es suchen soll“, seufzte sie.
    Was meint sie – bzw. was meinst du – an der Stelle? War das einfach Verwirrtheit?

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  2. war die tage erst vor drei Wochen auf dem grössten Friedhof Europas
    so zum auslüften , auf`´m Bänkchen
    war denn plötzlich entspannt in der untergehenden sonne die über den Teich
    meine nase kitzelte.
    bei den krieg Gräbern mit 1a englisch rasen und blitzblanken weissen kreuzen standen namen
    von unbekannten Engländern die kurz vor Kriegsende noch mit dem leben bezahlt haben
    seargent oder commander Leutnant
    alle knapp um die zwanzig erst
    einer erst 19.

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  3. vor 6 Wochen war ich auf dem Friedhof
    mal mit Fahrrad mal mit Edith mal mit dem bus
    eine Oase der Besinnung
    erst starb ihr mann flori
    sie hätte ihr letztes Hemd gegeben ,jeden tag fuhr sie zu ihm
    beim ersten oder zweiten mal hab ich das grab nicht gefunden
    Edith war nicht gut zu fuss und brauchte schon jemand dem sie vertrauen konnte

    Florian war ein sehr belesener mensch, auch am Bahnhof wo der ältere Herr mit dem langen weissen Bart neben mir platz nahm
    wegen was auch immer
    lasst mal platz hier für den mann der auf die u- bahn wartet
    er zeigte sich erfreut und fragte nicht so viel
    später bekam ich eine Einladung mit nr. also Telefon
    darauf stand
    sec.
    die brille
    darauf stand – Faust von Goethe
    Mephisto
    es hält nur, wer sich wacker hält Du bist
    doch sonst
    so ziemlich eingeteufelt
    nichts abgeschmackt`res find´ich
    auf der Welt

    Als einen Teufel der verzweifelt – nr .Florencio Hartungen in schwarz weiss mit Linien
    und Bleistift
    auf dem Zettel
    den hab ich heute noch
    wir haben uns angefreundet

    anfangs dachte ich noch ich wird hier verarscht da
    ich wurde zeuge einer Lesung , der <kerl mit dem langen weissen Bart in der ecke am fenster unter der Laterne und honig
    mit Fenchel ,das brauchte er nach her nach zwei seiten
    auswendiggekonnten Versen
    wobei er Edith hin und wider anschaute -ob er richtig lag
    sie kannte auch viel
    bei den 13 Sonetten von Shakespeare wurde er zunehmend agressiver und wollte vehement
    das Wort das ihm entglitten , nun zu zu
    wobei sie ja schon jeden satz mitsprach den er von sich gab.
    beziehungsweise widerholte
    das machte ihm zu´schaffen
    alle seine worte musste Edith nachsprechen , wodurch sich eine exclusive Spannung
    im freisprechen erlöste
    nich nur die Jamben oder auf den ersten stab von buch galt hier geflügelte Aufmerksamkeit
    zu bewahren
    nach ihrem umzug im hohen alter mit fast einem Lieferwagen voller Bücher war das unglaublich aufgeräumt
    selbst der grosse Brockhaus in welcher farbe und der kleine auch
    ich ärgerte ihn schon öfters am Telefon
    ich stellte ihm fragen die er nicht wissen konnte
    aber
    auch das
    noch
    er kannte faust auswendig
    er kannte die 53 sonnetten auswendig
    er kannte jeden satz !SATZ!
    auf seinem KOffer Stand GOEthe-
    dann der Schlaganfall
    ein mensch mit einem unglaublichem Verstand wurde von heute auf morgen
    zum Baby zurückgeschissen
    natürlich kannte er auch andere verse und gedichte,man wusste nicht genau
    ob er einen noch sieht oder hört
    Edith war sehr nidergeschlagen die erste zeit
    aber als ich mal unangemeldet im Pflegeheim auftauchte
    um eine neue cd einen cassettenrecorder mitbrachte
    wo seine stimme war
    hat Edith mich drum gebeten
    sie hat ihm einen runtergeholt.

    Edith ist leider tot.

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  4. erst später begriff ich so nebenbei wo ich war
    nich nur aus den stunden der vielen Gespräche , dem background
    die mutti von flori war Schauspielerin auch angehend
    als Kind war er aber nicht , naja
    er kam in ein neues zuhause
    seine tante fiffi die in Nürnberg lebte musste ihn alsbald weiter verschicken
    als sie sich denn alle wiedertrafen, lebte mutti mit einem fremden in einer Wohnung
    und daher Stefan hab ich mir das alles merken können
    wenn er seine texte einstudierte und theatralisch den faust zu vergeben zu suchte
    war ich schon eine souffeuse sufleuer
    surfer

    naja der freund von meiner mutter war auch schauspieler und hörte halt wenn er einen fehler machte
    denn landete ich erstmal nirgends
    das schöne keiner hats vergessen
    sie trafen sich zufällig in Italien
    also flori und Edith
    und den beiden verdanke ich so gute runde
    als wär es nur !

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    • Edith war so zum sagen ein Mädchen vom Lande
      sie lebte mit drei bis vier Schwestern auf einem Bauernhof in der nähe
      von schiess mich tot, ich glaub bei Borken um die Ecke
      sie hatte alle Hände voll zu tun weil sie die jüngste war

      sie entschied sich für ein Studium in Medizin Nebenfach Biologie
      ganz zum entsetzen ihres Vaters der sie sehr lieb hatte
      da er keinen sohn hatte sollte Edith nun diese Lücke antreten
      doch weit gefehlt
      sie war sehr fleissig und hatte bald den Dok in der Tasche
      sie studierte in ünster
      doch irgendwas lif schief ..
      sie bekam Visionen und wurde als verrückt gecancelt
      doch was steckte dahinter?
      ja der vater wer sonnst
      er hatte Beziehungen nd wünschte sich nun nicht sehnlicher als von ihr
      geflegt zu werden
      mit ihren Schwestern war sie nicht wirklich grün
      es ging ja auch um viel Geld
      falls der lte ändlich mal den Löffel abgibt
      Edith erbte alles
      von dem vermögen fuhr sie mit einer Betreuerin nach Italien
      zur Kur
      Flori sah sie zum erstenmal am Frühstückstisch irgendwo in der Ecke
      er schien zu lesen –

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  5. So GROSS geschrieben!
    Die Stelle mit dem Bauchspeck – klasse – wie ALLES!
    Foto wie aus der Vergangenheitsbloggerquick (damals so `ne Illustrierte, die meine Eltern immer unter den Sesselpolstern versteckten, also diese Quick). Hach…

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  6. Edith war immer noch hübsch obwohl sie schon fast vierzig war
    selbst mit 74
    sie wog 120 Kilo nur so
    ihr lieblingsspruch :- „ich schwitz wie`n Bär!“
    sie hatte ihre Prinzipien auch der Mittagsschlaf war wichtig
    aber erst betten ausschütteln!!
    sie hockte den lieben langen tag auf dem Sofa, wo links von ihr am fenster der grüne sessel leer war
    sie schlürfte mit strohalm vitaminpillen in sich rein und hörte gern klassische musik
    Bach war ihr Liebling
    wenn mal was nicht klappte rief sie immer um hilfe
    bei Franziskus nicht bei Gott
    oder wars antonius ?
    hilf lieber Antonius hilf
    ja er half
    ich sagte sie soll mit den blöden spritzen und Medikamenten aufhören
    sie wollte mir mal ein Butterbrot reichen doch weil sie so zitterte fiel es natürlich
    runter
    einmal im Monat gabs ne bärenspritze und denn halt pillen
    sie versuchte es
    und es war erstaunlich
    sie zitterte nicht mehr.
    sie stand immer unter drogen
    auch ihr mann machte sich zu eigen was er von ihrem Vater gelernt hatte
    machte sich ein schönes leben
    seine frau war ja bekloppt und liess ihn gewähren
    er hatte fast ihr ganzes Geld durchgebracht
    an nutten oder bedürftige verschenkt.
    das muss daran liegen, dass er als Knabe missbraucht wurde und später
    Männerfreundschaften auf dem zettel hatte
    keine Ahnung
    er war stockschwul!

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  7. seine liebe zu skakespeare stand nun in einem anderen licht
    vom eise befreit sind Strom und bäche
    durch des holden – naja
    Goethe hat er gelebt-
    die sonetten geträumt..
    ein wunderlicher alter kauz ohne zähne
    er aß gerne Weintrauben
    ich habe fertig.

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  8. denn war der Tag der Trauerfeier
    ich dachte ich geh auf ne Beerdigung
    kam etwas verspätet durch eine U-bahnkontrolle erst angereist und musste erstmal kucken
    wo denn diese Beerdigung losgeht
    es sah aus wie beim Zahnarzt
    als ich nach dem Empfangsraum immer noch nich wusste was hier abgeht –
    betrat ich schonmal den Warteraum mit etwa 15 Personen –
    15 ohne mich natürlich.
    Edith sass in der Mitte. Etwas blass und zittrig an der seite der wand
    zum fenster sassen noch 5 oder vier leute
    da ich keinen kannte und auch sonnst kein platz frei war ging ich zu Edith und überreichte ihr eine mütze
    von flori
    sie hatte sie mir mal geliehen weil ich meine alte in der kneipe verloren hatte
    mit den worten „hier, is von flori“
    oh Gott war das doof
    da alle plätze besetzt waren, blieb ich stehn an der wand am fenster und schaute zu, im nix
    ich spürte die blicke
    aber es gefiel mir nicht
    alles
    so das war’s jetz aber echt.

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  9. das ging da so im Rhythmus alle zwei stunden
    der aufgebahrte sarkophag aus holz mit Lorbeer und Tulpen stand vorne als ich als letzter eintrat und mich auch da niederliess
    vor mir ein duftendes etwas mit dunklen haaren, schulterlang, und Chanel no 5°
    sie trug indianerschmuck wie sich später rausstellte bei kaffee und kuchen
    bei kaffee und kucken
    Zahnärztin
    ich sachte, wie? wo ist das nicht die Beerdigung??! – ich dachte, wir gehen jetzt zum Friedhof
    nee!
    achsuu…–..-

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  10. der papst kam rein und fragte, ob jetzt alle da wären.
    wir müssten denn mal in die pötte kommen – die nächste beerdigung oder was auch immer wäre denn in bälde
    ein unwirsches Zauseln glitt durch die reihen
    falls noch einer was sagen möchte denn später
    ja!
    der komische typ, der am fenster neben seiner Freundin sass
    und nach meinem Stelldichein für den rest des tages auf dem Klo verschwand, im proberaum im Wartezimmer
    hatte etwas vorbereitet:
    er sang in schottisch, glaub ich, eine Ballade und textete noch einen vers auf
    das glück, jemals einem menschen wie Flori in Altona am Bahnhof
    begegnet zu sein ..
    es brachte ihn in rage und er dankte ihm nochmal.
    er hat mich aus meiner Drogensucht befreit und mir kraft gegeben diesen pfad des Märtyrers ein ende zu setzen
    es war absolut stille und jeder hatte einen Kopfschuss
    selbst der papst war leich irritiert
    ich lag unterm stuhl in schokkstarre
    mit sowas hatte ich nicht gerechnet
    das war so grottenschlecht und auch auf deutsch gesungen das einen der flori ja schon leid tat da mit dem da vorn
    als der papst ihn denn dazu bewegte mit einem gekonnten Aufwärtshaken verliess nun der gesalbte die bühne

    war es das vermutete Erdbeben vor der Verkündung, das es hier nichts
    zuholen gibt
    drei vater unser und die Sache war erledigt
    .

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  11. Edith meint das ist eine Zahnärtztin stefan du null
    die lebt in ganz anderen kreisen
    Verhältnissen
    sie hat sich grad erst von ihrem mann getrennt der sie verlassen hat mit einer Villa und zwei Hunden
    achso naund-
    sie hat eine tochter die in Hamburg studieren will..-.-
    haha!
    jaa die kommen mich am Wochenende besuchen.
    du meinst ich könnte da mal auftauchen.-
    wie du möchtest
    taten
    tanzen
    und geschehn war nix ich blieb schön zu hauss

    die zahngärtnerin hatte meine nummer gefunden in Edith geheimen buch
    Edith ist tot.
    nich mal das
    da Edith fast eine Woche nichts mehr von sich hören liess fuhr ich
    zur bramfelder strasse neben dem sportartikelfachhändler und sah das geöffnete fenster
    zur strasse hin
    was so nicht sein konnte
    ich klingelte an der Haustür und ein mann kam von hinten und schloss auf

    ich wollte zu frau Hartungen , aber da scheint…..
    die ist und denn machte er so ein zeichen mit dem finger um den hals vorne…..

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  12. Florencio erzählte mir mal was über Geschichten, die nicht mal ich kannte. Später am frühen abend, wo das licht schön den dimmer entlarvt, das schlüsselbild, sein Inventar.. Er hatte ein Seniorenticket für ein jahr gekauft und fuhr immer so ins blaue. Edith blieb schön zu hause auf der Couch und schlief ein, bis vor 25 jahren seine Dienstzeit in der Commerzbank abgelaufen war.
    bei da banco.
    er liess etwas mitgehen, was er zuvor mitbrachte, nur anders.
    er hatte sie vergessen.
    auch die zeit, wo er jeden abend nach der arbeit in die kneipe ging um sich umzukucken
    er schenkte der Wirtin, die halb so alt war wie er, 100 rosen
    zum spass
    ja ich hab sie geliebt..
    Als ich sie jahre später mal traf, hintern tresen, schien sie nicht zu wissenvon wem ich sprach
    der mit den rosen sagte ich und
    ach ach jjaa das ja..-
    hm
    ja der hat doch da drüben gewohnt und seine frau ist auch tot ..
    hatte der ne Frau
    ja die Edith
    davon hat er mir aber nix erzählt
    schon ok ,
    die ist auch tot.

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  13. du schreibst: „Das Schreckliche am Tod ist das Gefühl, als wäre nie etwas gewesen, ja, als hätte dieses Leben niemals stattgefunden“. Mich schmerzt das. Denn du weißt doch genau, dass es stattgefunden hat, du bist Zeuge und bezeugst es.

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    • Ich rede ja von einem Gefühl. Dahinter steckt die Ungeheuerlichkeit, dass das Leben einfach weitergeht, wenn jemand stirbt, den du liebst. Eigentlich müsste die Welt stehenbleiben. Aber das tut sie nicht. Und weil sie das nicht tut, könnte das Leben, das gerade zu Ende gegangen ist, genauso gut auch nicht stattgefunden haben.

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      • Du sprichst von deinem Gefühl, und dagegen will ich auch gar nichts einwenden. Über Gefühle lässt sich nicht debattieren. Ich sprach von meinem Gefühl. dass mich der Gedanke schmerzt, dass der Sohn an meiner Existenz zweifeln könnte, nur weil ich nun tot bin. Der Tod löscht das Leben ja nicht aus.

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      • Liebe Gerda, normalerweise tu ich den Teufel und erkläre irgendetwas, was ich geschrieben habe. Entweder es erklärt sich aus dem Text oder ich habe Mist gebaut als Schreiber. Bei dir weiß ich aber, oder sagen wir: ahne ich, dass du die Sachen sehr genau nimmst, (auch aus einem früheren Kommentar unter einer anderen Geschichte), und das erinnert mich an jemanden, den ich gut kenne, nämlich an die Gräfin. Die liest meine Texte auch oft anders, als ich es gemeint habe. Und das ist oft gar nicht mal so schlecht. Das befruchtet.

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  14. Ich danke Ihnen für Ihren gross=artigen Text. Er hat mich noch mehr berührt, als mir beim Lesen bewusst wurde, wie ich einen Nachruf auf meine Mutter schreiben würde.
    Und Ihre bildschaffenden Formulierungen wie z.B. „Einer hielt Ausschau nach dem anderen. Der Blick ins Leere war ihr letztes Band“ sind Kracher der besonderen Art.
    Herzlichen Dank dafür,
    Herr Ärmel

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  15. obem in der kurve beim Parkplatz am leuchturm dem roten mit 400 winkel
    perspektive
    genau da wo der weg anfängt oder aufhört
    traf ich meine mutter die noch den kleinen dünenanhang hochstrampelte
    und wollte ihr nur entgegenkommen
    mit meinem ausgeliehenen tretpanzer
    unsere räder berührten sich wir waren zusammengekracht
    mutter pikier.t -kannst du nicht aufpassen

    ein Radfahrer der das geschen auch mitbekam hob an;
    da hat ihr mann aber so mal nicht die kurve gekriegt!“
    ich musste lachen-
    ohne worte.

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  16. ein zwei tage später nachdem wir in Fedderwardersiel Fisch kauften
    es war das letzte mal
    wir gingen noch ein paar meter bis zum Hafenkonzert
    sie gab mir Geld für ein Bier aber ich hatte keinen Durst
    die Tüdelüten spielten frei auf
    es tröpfelte leicht
    typischer Landregen war mir lieber
    ob ich noch was bräuchte aus dem laden
    ob die alte frau noch an der kasse sitzt,
    die Chefin..
    Neee, du, die war nich da!

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