Als Pulp Fiction 1994 in die Kinos kam

Sperrstunde.

„Los, gehn wir zu mir“, mümmelte Klaus, der vom Urlaub auf Ibiza zurück war, „können wir noch schön einen Rundmachen.“

Er wohnte gleich um die Ecke. Riesen-Lounge, geschmackvoll eingerichtet mit Statuen und Wandteppichen aus Ceylon. Während ich durch die Wohnung lief und mir anschaute, was es so alles gab, (ein großes weißes Schaukelschaf für Kinder mit echtem Schafsfell und Modell-Flugzeuge in allen Größen, die an Strippen von der Decke hingen), drehte Karlos schon mal einen Joint.

„Warst du mal Pilot?“ fragte ich Klaus, der sichtlich Probleme mit der Motorik hatte. Er war so dünn und lang gewachsen, er sah aus wie ein braungebranntes biegsames Ausrufezeichen, das sich nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte. Er hatte Geld geerbt, aus lauter Langeweile lötete er Stehlampen zusammen, die er auf dem Flohmarkt für kleines Geld verhökerte. „Aber eigentlich will ich ja nur in Ruhe trinken“, sagte er mit den Augen eines alten traurigen Hundes.

Er war weit gereist. Er kannte die Welt, aber es interessierte ihn alles nicht mehr. Selbst seine viel jüngere, hübsche Frau, die er in München geheiratet hatte, bevor er in seine Heimatstadt zurückehrte, „die schlechteste Entscheidung meines Lebens“, ließ ihn kalt. Lieber saß er schon früh um sechs in der schicken Küche und machte das erste Bier auf.

„Pilot? Ich? Nee, ich nicht“, mümmelte Klaus, „aber ich hab mal ne Pilotin gehabt, bei der bin ich viel vorne in der Kanzel gesessen. Bei der Landung und so. Ich sag euch, Jungs, wir landen alle mal, das geht ganz schnell, das siehst du gar nicht kommen – das geht tock-tock und plötzlich bist du unten.“

Eine Woche später fiel er hinterrücks die steile Treppe zu seiner Lounge unterm Dach herunter und brach sich das Genick. Auf der Beerdigung waren sechs Leute anwesend, darunter Karlos und ich. Seine junge Frau war nirgends zu sehen.

*

„Du redest immer so schnell und leise“, sagte die Gräfin, als wir uns kennenlernten.

„Quatsch. Ich rede überhaupt nichts. Das hört sich nur schnell und leise an.“

*

Ich bin kein großer Schläfer, aber ab und zu lege ich einen Schlaftag ein und schlafe mich mal richtig aus, das muss dann reichen. So wie heute. Nach dem Frühstück penne ich bis halb zwölf, dann lege ich mich nach dem Mittagessen noch mal hin, (von halb drei bis halb fünf). Um halb sechs bin ich schon wieder eingenickt, die Gräfin weckt mich.

„Du musst noch einkaufen. Und mit dem Hund raus.“

Auf dem Weg zum Netto-Markt lege ich im alten Botanischen Garten ein Päuschen ein, auf der schattigen Parkbank. Der katholische Sound der nahen Kirchenglocken weht zu uns rüber, die Spanier feiern 18 Uhr-Messe im Mariapolizentrum. Oder die Portugiesen. Zwei pubertierende Jungs, (schwarzes Shirt, schwarze Baggypants), lassen sich im kalten Gras nieder, (im Schneidersitz der eine), sie saufen Wodka aus Pappbechern.

„Alter, hömma, weißt du, was ich zu der Alten gesagt hab? Leck mein Arsch, hömma, sag ich zu der Alten.“

Als ich im Discounter zum Bezahlen anstehe, seh ich draußen vorm Laden die 2-Euro-Frau in schwarzen Pluderhosen auf und abschreiten. Wallendes Haar, die Finger voller Klunkern und definitiv ein Riesen-Schoss raus. Eine noble Irre. Sie fragt jeden Passanten nach genau zwei Euro. Sie nimmt nur 2-Euro-Stücke entgegen. „Dabei hat die genug Geld“, meint die Kassiererin mürrisch. „Stand mal in der Zeitung. Die fährt BMW.“

Bestimmt aus der 2er-Reihe.

*

Das ist die falsche 2 Euro-Frau. Sie fragte zwar auch immer nach 2 Euro, genauso wie die original 2 Euro-Frau, aber sie war halt nicht zuerst da. Sie war die Nachahmerin der echten 2 Euro Frau.

Richtig gemalt von Susanne Eggert

*

Auf dem Rückweg kratze ich mir weiche, weiße Vogelkacke vom Hosenboden. Im Park ist es schön schattig, wenn man die richtigen Ecken kennt. In der süditalienischen Ecke, wo Pinien wachsen, Überbleibsel aus der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Grünanlage der Botanische Garten der Stadt war, huschen noch heute in der Dunkelheit unzählige Fledermäuse im schnellen Zick Zack durch die Luft, so dass man unwillkürlich in Deckung geht. Ein Tohuwabohu, als wäre kleines Militär unterwegs. Die Park-Junta. Es gibt Trompetenbäume und zwei Ententeiche, die der Fischreiher für sich beansprucht.

Goldwespen sind hier zu Hause, eine Schar Stockenten und schwarze Teichhühner, eine Eule, die spätabends mit einer anderen, weiter entfernt sitzenden Eule kommuniziert, u-huuh-uhh..!, dass einem warm wird ums Herz, sowie der bereits erwähnte Fischreiher, der aber nur sporadisch auftaucht. Ein junger Kerl, dessen Flügel kräftige Zeppelin-Schatten werfen, wenn er galant über die Wiesen hinwegsegelt. Ein furchtloser Bursche, im Gegensatz zu seinem Vorgänger. Der alte Fischreiher schlurfte durch die Luft wie eine Majestät, er war bedächtig und vorsichtig, eine Märchenfigur aus dem Orient. Sobald man ihm zu nah kam, schwang er sich auf und verschwand naserümpfend.

Einmal verfolgte ich seinen Flug. Ich sah zu, wie er eine ausladende Runde über die Anlage drehte und sich schließlich auf einem der gegenüberliegenden Hausdächer niederließ. Komm, sagte ich zum Hund, den holen wir uns. Wir bewegten uns auf die Häuserzeile am Pappelweg zu, deren Rückfront zum Park zeigt. Davor Gartenparzellen, Blockhütten, Blumenrabatte.

Es dauerte seine Zeit. Alle paar Schritte vergewisserte ich mich, dass der Reiher noch hoch oben auf dem Dachfirst stand. Bewegungslos zeichnete sich seine Silhouette gegen den Himmel ab. Ein stolzer Recke, der es nicht nötig hatte, die Stellung zu ändern. Erst als wir uns dem Haus bis auf zwanzig Meter näherten, entdeckte ich, das es gar nicht der alte Reiher war, sondern ein blödes Wetterhühnchen, da oben auf dem Dach. Oder wie die Viecher heißen. Windhühnchen.

Arschlochhühnchen.

Komm, wir gehen.

*

Am unteren Park-Ausgang steht ein Mehrfamilienhaus, in dem eine Zeitlang mein Bruder gewohnt hat. In der Wohnung im ersten Stock lebt jetzt eine massige Deutsche mit ihren zwei halbwüchsigen Söhnen. Die Frau lässt sich draußen selten blicken. Nur ihre Hand ist regelmäßig zu sehen, wenn sie am offenen Wohnzimmerfenster sitzt und raucht und dabei die Hand rausbaumeln lässt und die Asche ihrer Damen-Zigarette abstreift: Die Asche rieselt in die Tiefe, während sie fernsieht und mit ihren beiden großen Jungs quatscht, die in der Tiefe des Raumes vorm flackernden PC hocken.

„Maurice.. Maurice..! MAURICE!!!“

„Jaa, Mama… Ist ja gut.“

„Sag mal, was hat die Töle von der dicken Zimmermann noch mal für ne ansteckende Krankheit?“

„Leptospirose.“

„Wie heißt das??“

„Lep-to-spi-rose..!“

„Kannst du das auch auf Deutsch übersetzen, du freches Aas?!“

Oder man hört, wie die Mutter mit einem hysterischen „ksch-ksch-ksch!!“ die Elstern zu vertreiben versucht, die in der hohen Birke vor ihrem Fenster ein Nest bezogen haben und sich keckernd in die Haare geraten, ksch-ksch-KSCHSCH!!! Ich hätte es besser gefunden, wenn mein Bruder da noch eine Weile wohnen geblieben wäre.

*

Mein Lieblingsfoto 2018: Leo im Gustav Coppel-Park (Park Am Kannenhof)

*

Schräge Vollmond-Episoden im Schlaf. Sie träumt, man hätte ihr auf einer Messe eine neuartige Biene vorgestellt, die man küssen kann, ohne dass sie einen sticht.

„Ich konnte gar nicht genug kriegen, mit ihr zu spielen.“

*

Anfang des Monats hat man in der engen Lotto-Bude der beiden Tanten kaum Zeit, sich umzugucken. Es hat Geld gegeben, die Leute wollen die Sofortrente abräumen und Sofortgewinne errubbeln. Es herrscht ein Riesengedränge in dem kleinen Laden.

„Wenn ich morgen im Lotto gewinne, düs ich nach Hongkong in ein Superbordell und geh kaputt!“ ruft Jimmy in dem Moment, als ich mir neugierig das neue Micky Maus-Heft aus dem Ständer ziehe:

Mit dem neuesten Gimmick: Ein Elektrischer Klirr-Hammer: Mit original Einbrecher-Sound!

Da investiere ich doch mal 2 Euro.

*

Als Pulp Fiction 1994 in die Kinos kam, liehen wir uns einen klapprigen alten VW Variant und fuhren zur Mitternachtsvorstellung ins Bambi nach Düsseldorf. Ich war total scharf auf John Travolta als Gangster. Der Film hielt, was die Ausschnitte im TV versprochen hatten. Als Travolta allerdings nach nicht mal der Hälfte der 145 Minuten Laufzeit von Kugeln durchsiebt auf dem Klo sitzend zusammensackt, war ich schwer verstimmt.

„So ein Scheiß! Travolta ist tot!“

„Ja“, sagte sie. „Ich sehs.“

Es roch schwer nach Betrug. Ich wollte nur noch nach Hause.

10 Gedanken zu „Als Pulp Fiction 1994 in die Kinos kam

  1. so schön hab ich das nicht in Erinnerung von oben beim Rundell
    aber da ist ganz schön was gewachen..eehm gewachsen
    Leo geht den Spuren nach
    was mir besonders gefallen tut
    so gehört sich das.

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  2. „Ein Elektrischer Klirr-Hammer: Mit original Einbrecher-Sound!“ – eine Primadirektinvestition, die ich auch getätigt hätte.
    Dagegen darauf zuwarten, bis man für eine Zweieuromünze einen 2er BMW sein eigen nennen kann, ist eine matte Angelegenheit…

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