Angeber

Zum zweiten Mal sprach mich ein Unbekannter auf der Straße auf die Bloggerei an. Keine hundert Meter von meinem Zuhause entfernt.

„He.., sag mal, bist du nicht derjenige, der über Heroin schreibt?“

Ich kannte ihn vom Sehen, und ich war ein bisschen baff. Dass er gleich mit der Tür ins Haus fiel. Der Junge war Mitte zwanzig, trug Rasta-Locken. Er war mir schon einige Male über den Weg gelaufen, und als die Gräfin einmal dabei war und sah, wie ich ihm verschwörerisch zunickte, obwohl ich noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte, meinte sie anschließend nur: na klar magst du ihn. Der erinnert dich daran, wie du selber mal warst, so vor 30 Jahren.

„Ja“, antwortete ich nur. „Der bin ich.“

Er reichte mir die Hand. „Du hast mir mal das Leben gerettet.“

Ich blickte ihn fragend an.

„Doch, ist wahr. Letzten Sommer, als ich auf Entzug war, saß ein Freund bei mir am PC und meinte, hier ist ein Typ, der wohnt um die Ecke und schreibt über Heroin. Und dann haben wir deine Drogenstorys gelesen.. alles hintereinander weg. Er hat einfach Heroin eingegeben in die Suchmaske und vorgelesen und die ganze Zeit hatte ich beim Zuhören diesen bitteren Geschmack von Schore auf der Zunge. Und all diese Typen, die darin vorkommen… ich weiß auch nicht. Es tat gut jemanden zu lesen, der die gleichen Probleme hat wie ich.., das hat mir echt geholfen..“

Ich erfuhr, dass er in Wuppertal aufs Lehramt studierte und mit einer Frau zusammenlebte, die nicht Mutter seiner zwei kleinen Jungs war. Und dass er für sein Leben gern Didgeridoos aus alten PVC-Rohren zusammenbaute.

„Echt? Kann man da richtig drauf spielen?“

„Na klar kann man darauf richtig spielen, ich mach doch keinen Fake. Ich baue dir auch eins, wenn du willst. Meine Freunde haben alle ein Didgeridoo von mir.“

Wir standen noch ein bisschen zusammen. Ich erkundigte mich, ob er richtig drauf war auf Heroin oder ob er in der Phase war, wo es hin und herging, wo es noch unentschieden stand. Auch wenn die meisten User ab einem gewissen Punkt nicht mehr zurück können, so gibt es doch immer wieder Überraschungen. Leute, die plötzlich begreifen, dass sie auf dem Holzweg sind und von heute auf morgen die Finger vom Gift lassen, meist aus einem einzigen Grund: Weil eine fremde Macht Besitz von ihnen zu nehmen droht, und weil sie das nicht abkönnen. Weil sie es früh genug erkennen. Vielleicht auch, weil sie in ihrer Kindheit in den richtigen Momenten auf den Arm der Mutter durften und nicht weggestoßen wurden. Wer weiß das schon so genau. Im Nachhinein.

Er verabschiedete sich und ging weiter, ziemlich abrupt und ohne verraten zu haben, inwiefern ich sein Leben denn nun gerettet hatte. Nur weil er etwas gelesen hatte, was andere schon tausend Mal geschrieben hatten? Weil ich zufällig in der Nähe wohnte? Ich traf ihn noch etliche Male, meist am Bolzplatz, wenn ich mit dem Hund unterwegs war, aber ich vergaß stets, ihn danach zu fragen.

War wohl nicht so wichtig.

*

Es war das zweite Mal gewesen, dass mich jemand auf meinen Blog ansprach, der offensichtlich in der Nähe wohnte. Zuvor war da dieses Autogramm, das jemand haben wollte.

Eine Frau.

Sie war irritiert. „Ja gut, ich wollte eigentlich ein richtiges Autogramm haben..“

„Hm?“ Ich verstand nicht. Ich hatte ihr doch gerade eins gegeben.

Hier: Andreas Glumm.

„Ja, heißt du.. Weiß ich doch.“

Sie schaute nochmal den Kassenbon an, den ich auf ihren Wunsch hin auf der Rückseite unterschrieben hatte, weil nichts anderes aufzutreiben war auf die Schnelle. Es sah aus, als suchte sie etwas, was ihr beim ersten Blick entgangen war. Und ganz plötzlich verstand sie, und es wurde peinlich. Nur für einen Moment, nicht sehr lange, aber doch lange genug, um im Gedächtnis zu bleiben.

Ich hatte mit Frau Moll vorm Discounter an der Wupperstraße gewartet, drinnen machte die Gräfin ein paar Besorgungen. Frau Moll saß zu meinen Füßen, lässig die Innenschenkel nach außen geklappt, wie auf der Herbertstraße in Hamburg, und taxierte die Rüden, die vorübergingen. Je älter sie wurde, desto verspielter wurde sie.

Der Einkauf der Gräfin dauerte seine Zeit, wie immer, und wie immer stand ich irgendwann an der großen Schaufensterscheibe und schaute genervt in den Laden, um zu sehen, wo sie blieb, und in diesem Moment trafen sich unsere Blicke: eine große sportliche Frau mit weissblondem langen Zopf, einiges jünger als ich. Sie stand an der Kasse und starrte so direkt in meine Richtung, dass ich mich erst mal wieder wegdrehte, weil ich dachte, was will die denn.

Wieso guckt die so.

Frau Moll erhob sich, als Janosch vorüberging, ein Hund aus der Nachbarschaft, ein 10jähriger Boxer mit Bierbauch, platter Nase und Opagesicht. Sein Gang wirkte, als ob er gerade das dritte Schnäpschen auf hatte. Tüdeliger Gang, kleine Rente, dritter Korn. Seine Backentaschen hingen durch wie zwei behaarte Turnbeutel. Und plötzlich stand die Frau aus dem Laden vor mir.

„Du bist doch der Fünfhundert Beine“, meinte sie lächelnd, „und..“, sie bückte sich, „..dann ist das hier Frau Moll..“

Die Hündin duckte sich weg. Sie mochte keine Leute, die sie nicht kannte und die nach ihr griffen. Leute, die sie nicht kannte, waren nicht unbedingt Feinde, aber sie waren erst recht keine Freunde. Leute, die sie nicht kannte, mussten sich ihren Platz erst erarbeiten im hierarchischen System Frau Moll. Besonders die Kinder verstanden das nicht. Was sie sahen, wenn Frau Moll vor ihnen saß, war ein wuscheliger Streuner, ein Familienhund, der dazu animierte, ihm ins Fell zu greifen und zu japsen, „nee, ist der goldig! Ist das ein Wuschel!“ Ja, goldig, genau, besonders die Arztrechnung. Die Tetanusspritze, das Säubern der Bisswunde, das Tackern, das Nähen, die Laufschiene, die jahrzehntelange psychologische Behandlung der Hundephobie, das künstliche Auge – es hörte nicht auf, wenn man einmal Pech hatte im Leben.

Bleib mir bloß weg, knurrte Frau Moll. Von Geburt an trug sie ein großes weißes Kreuz auf dem Brustkorb, das ihr einen gewissen religiös-erleuchteten Anstrich verlieh: Frau Maria Moll. Die Frau zog die Hand zurück, war aber nicht beleidigt. Sie war groß, sie trug vorn einen Pony, hinten den weiß-blonden Zopf, sie war nah am Albino und hübsch, nicht zu hübsch, Anfang dreißig. Sie hatte ein Paket Bio-Schweinefleisch in der einen Hand, in der anderen einen Becher Schmand.

Sie strahlte.

„Ich lese 500beine seit zwei Jahren, und seitdem du ein kleines Bild im Header hast, weiß ich auch, wie du aussiehst. Ich hatte mich immer gefragt, wer das wohl ist, der hier lebt und all die Geschichten schreibt.. ich wohne hinten am Neuen Kannenhof. In den Hochhäusern.“

Ich beobachtete ihr Gesicht, während sie drauflos sprudelte. Sie hatte etwas von einem Blumenkind, das auf Nirwana stand, und sie wollte ein Autogramm von mir. Ich hatte noch nie ein Autogramm gegeben, ich hatte mir eher selbst welche geholt, (eins von Helge Schneider, eins von Pat Metheny), und dabei war es mir weniger um die Unterschrift eines Prominenten gegangen als darum, kurz in seiner Nähe zu stehen und das Gesicht zu studieren, während er schrieb. Eigentlich studierte ich mein Leben lang Gesichter. Ich war ein ewiger Gesichtsstudent. Menschengesichter waren mein Ozean, waren Salzwasser und Fische. Ich nahm mein Notizbuch als Unterlage und unterschrieb ihren Kassenbon auf der Rückseite. Vorne stand Schwein-Flei und Bio-Schma, hinten:

Andreas Glumm.

„Na gut, ich weiß ja schon, wie du heißt..“, meinte sie verstört.

„Hm?“

„Na ja..“

Sie guckte sich den Kassenbon und meinen Namenszug nochmal an, und augenblicklich verstand ich, warum sie so irritiert war: Sie hatte eine geschwungene Künstler-Unterschrift erwartet, einen echten Beethoven, aber was sie da in der Hand hielt, war Kindergekrakel. Ich unterschreibe bis heute wie in der vierten Klasse. Ich bin nicht viel anders geworden seit damals, als ich zehn Jahre alt war und die Schule wechselte. Ich wohne immer noch in der gleichen Gegend, und ich weiß immer noch nicht genau, was ich mal werden möchte, wenn ich groß bin. Sogar der kleine Tisch aus meinem Kinderzimmer steht bis heute an meinem Bett. Den gebe ich nicht mehr her. Klar. Ich meine. Ich bin Ende fünfzig, aber im Herzen immer noch zehn. Da fehlen irgendwie 40 Jahre. Wo sind die alle hin? Wer hat die mitgenommen. Hat die jemand abgeholt und ins eigene Leben eingebaut?

„Danke dir“, sagte die Frau und verschwand im Dickicht der viel befahrenen Wupperstrasse.

*

Und dann vorgestern. Ich komme vom Einkaufen aus der Stadt. Ich hab unterwegs ein paar Fotos mit dem Telefon gemacht, das hab ich mir so angewöhnt in letzter Zeit. Wenn die Gräfin heimkehrt und wissen will, wie und wo ich den Vormittag verbracht habe, klickt sie sich einfach durch die Foto-Galerie meines Telefons und weiß Bescheid.

Als ich also vorgestern in den Alten Kannenhof einbiegen will, habe ich mein Fototelefon gerade in der Hand. Ein paar Teenager auf der anderen Straßenseite haben mein Interesse geweckt. Ich überlege noch, ob ich sie knipsen soll, da blickt mich ein kleines, mit schwarzem Edding hingepinntes Graffito an, auf so einem Stromkasten der Stadtwerke.

Glumm rulez.

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„Ach komm, das hast du doch selber dahin gepinselt“, meint die Gräfin am Abend, als sie meine Galerie durchforstet.. „Du alter Angeber.“

Nein, so kriege ich das G nicht hin. Dieses G ist nicht von mir. Ich könnte noch so viel üben, mein G würde immer durchschimmern. Mein G in Glumm ist ja fast ein S, ist fast ein Slum. Ansonsten wäre es mir natürlich zuzutrauen, dass ich mich selbst feiere, nach all den Jahren. Ich bin ein zurückhaltender Angeber. Ein Prahlhans, auf den keiner so schnell kommt. Die Gräfin träumt heute gelegentlich von der Zeit, wie ich war, als sie mich kennenlernte. Damals.

“In meinen Träumen liegst du immer noch mit entblößtem Oberkörper im Gras, hast ein blondes Liebchen im Arm und pöbelst die Leute an. Machst einen auf dicke Hose, so wie du eben warst, früher, aber es war nur ein Spiel, es war unwichtig. Es war, als hättest du alles mit links gemacht. Wie oft hab ich früher im Mumms gestanden und dir zugeguckt, wie dich irgendwelche Großschnauzen und Nullchecker vollgesabbelt haben, und du warst ganz begeistert und hast mit großen Notizbuchaugen zugehört. Junge, waren das alles Aufschneider und Größenwahnnsinnige, und was hattest du einen Spaß.“

11 Gedanken zu „Angeber

  1. Die Teenager am Alten Kannenhof gegen Ende des Beitrags, hätten die an einem Freitag um 10.37 Uhr (dein Foto ist darauf datiert) nicht in der Schule sein müssen? Da hattest du ja den richtigen Riecher, als du die fotografieren wolltest. „Dank“ der dich ablenkenden Stromkasten-Huldigung sind sie nochmal davongekommen … und schaffen vielleicht irgendwann später ihren Abschluss nicht, weil sie dieses eine Mal zu oft geschwänzt haben. Die Folgen sind gar nicht abzusehen!

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  2. Pingback: Straßen, in Gang gesetzt | studio glumm

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