Ich glaub, es war Boxer Butch, gespielt von Bruce Willis, der in Pulp Fiction jene berühmt gewordenen Worte sprechen durfte, „das ist der seltsamste Scheißtag in meinem ganzen Leben“? Ja, ich meine, es war Butch, der den Sound vorgibt für den ganzen Film. Und zwar in der Szene, wo er im Taxi sitzt, nachdem er entgegen der Abmachung mit der Mafia seinen Boxkampf nicht durch K.O. verloren hat, sondern durch Totschlag gewonnen. Eine typische Pulp Fiction-Wendung, und das gleich zu Beginn. Oder war es nicht zu Beginn? Also ich meine schon. Jedenfalls hätte der Drehbuchautor dem guten alten Bruce Willis in dieser Szene jene „… der seltsamste Scheißtag …“-Worte in den Mund legen können, machte ja Sinn.
Natürlich könnte ich googeln und wüsste rasch Bescheid, wer wann was in Pulp Fiction je gesagt und getan hat, aber dazu fehlt mir die Lust. Ich lasse es lieber im Ungefähren. Ich tue einfach mal so, als schrieben wir das Jahr 1994 und das Internet wäre hauptsächlich Underground und Google läge in weiter Ferne und ich müsste mit dem zurechtkommen, was die Erinnerung mir hinhält.
1994 fuhren die Gräfin und ich zur Premiere von Pulp Fiction nach Düsseldorf. Zur Mitternachtsvorstellung. Ins Bambi. Programmkino. Eine eiskalte Winternacht. Weil ihr Wagen kaputt war, mussten wir uns von einem Bekannten seinen klapprigen alten VW Variant ausleihen. An so ziemlich jeder verschneiten Kreuzung sprang ich vom Beifahrersitz aus dem Wagen und musste anschieben, weil der Motor streikte. Dabei musste ich jedes Mal höllisch aufpassen, dass ich mich auf dem eisglatten Untergrund nicht lang legte.
Der Wagen gehörte einem Typen namens James, der nicht viel Worte machte, dafür aber kiffte wie ein Berserker und für eine traditionsreiche Solinger Schirm-Manufaktur auf der Konstruktionsebene tätig war und Regenschirme entwarf. Vom jahrelangen Kiffen, schon zum Frühstück gabs in seiner Miniküche um halb 8 einen gesunden kräftigen Bong, hatte er haufenweise Pickel im Gesicht. Es waren Pickel von der Art, wie sie auch von Wasserpocken zurückbleiben, wenn man sie als Kind zu oft aufgekratzt hat. Er hatte die Pickel am Hals, am Arm, er hatte die Dinger überall, wo seine Haut noch etwas Platz bot. Ein introvertierter Vogel war James, mit einem kränkelnden Auto und Akne, aber Ideen für neue Schirme schüttelte er nur so aus dem Ärmel. Jedes Mal, wenn wir ihn besuchten, (entweder weil wir sein Auto ausleihen oder ihm unseren Hund aufs Auge drücken wollten für ein Wochenende), saß er bekifft am Zeichentisch und entwarf auf Millimeterpapier weitere Versionen für auf Knopfdruck aufploppende Solinger Regenschirme. Er war ein talentierter Hund, der Gute, aber seine Autos waren Kacke.
Pulp Fiction. Im Vorfeld hatte ich so viel über den Film gelesen, ich hatte so viel gute Ausschnitte gesehen, ich war total scharf auf John Travolta als Gangster Vincent Vega. Und als er in Pulp Fiction schließlich unter Heroineinfluss zu Chuck Berry tanzte, raste mein Puls vor Freude, er war wirklich brillant. Doch dann, ganz plötzlich, nach nicht mal der Hälfte der 145 Minuten Laufzeit, (ich hatte nicht damit gerechnet, es traf mich wie aus heiterem Himmel), sackte Vega alias Travolta von Kugeln durchsiebt auf dem Scheißhaus zusammen. Und ich saß da im Kinosessel. Im Bambisitz. Weit nach Mitternacht. Von Enttäuschung durchlöchert. Ich war so was von sauer und verstimmt, ich wollte auf der Stelle nach Hause. Nur noch weg.
„So ein Betrug!“ zischte ich. „Der ist tot!“
„Ist ja gut“, meinte die Gräfin. „Ich sehs ja. Na und.“
Ehrlich gesagt: Dafür, dass ich Pulp Fiction später für so gelungen hielt, für einen echten Klassiker, fand ich den Film an diesem Abend nicht mehr als ganz okay. Und als dann John Travolta auch noch auf dem Pott sitzend und Zeitung lesend über den Haufen geballert wurde, war die Nacht für mich gelaufen.
„Komm, Travolta ist tot“, sagte ich zur Gräfin und wollte losmachen, doch sie bestand darauf, den Film zu Ende zu sehen. Wenn sie ein Buch anfängt, muss sie es zu Ende lesen, auch wenn ihr schon auf Seite 30 klar wird, dass es sie tödlich langweilt. Sie kann nicht anders. Sie muss wissen, wie es ausgeht. Bei Büchern, bei Filmen, überall das gleiche. Ohne Ausnahme bis zum bitteren Ende.
Mittlerweile hab ich den Film ein Dutzend mal gesehen, Pulp Fiction ist einer der besten Filme der letzten 50 Jahre. Was Regisseur Quentin Tarantino angeht, so hat er danach keinen einzigen überragenden Film mehr zustande gebracht. Aber das macht nichts. Lieber ein Meisterwerk als gar keins.
Und John Travolta? Ich kann machen, was ich will, der Junge hat bei mir ein Grübchen im Kinn, seit er 1978 in der Eröffnungssequenz von Saturday Night Fever zu Stayin‘ alive von den Bee Gees übers New Yorker Trottoir stiefelt. Einer der bewegendsten Momente der Popkultur. Mit zehn, zwölf Schritten in eine neue Ära, ich war 1978 achtzehn Jahre alt. Ich hab den Film, als er damals in die Kinos kam, vier oder fünf Mal gesehen, und jedes Mal mussten wir, weil wir auf den letzten Drücker kamen und die Vorstellung fast ausverkauft war, mit einem Platz vorn in der ersten Reihe Vorlieb nehmen. Ich wollte aber eh nur den Anfang sehen, die zehn, zwölf Schritte von Travolta, dazu Stayin alive von den Bee Gees, „das wird der absolut geilste Scheißtag in meinem Leben!“ Und ich versank angesoffen im Sperrsitz, mit Genickstarre, Tina am Knutschen.
…kiffte wie ein Berserker, gut! Ich liebte ihn als sterbenden Lit.prof in Lovesong for Bobby Long, so much, soviel sehr dolle…
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Ist doch wohl klar. Travolta 1990 – Glumminski 1990: Spiegelneuronen. Punkt.
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ach so.
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Ich sag nur: Grübchen im Kinn…
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ach so.
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Ende der 70er Jahre gabs in Hamburg ein Graffiti: „Alle wolln dasselbe, Travolta in die Elbe.“ Fand ich gut.
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Ja natürlich, Travolta fand nicht jeder gut. Nicht mal ich so richtig. Dieses schmierig US-Italienische an ihm .. aber der Gang.. DER GANG!! Zu den BEE GEES! Für 10, 12 Schritte stimmte alles bis zum Ende aller Tage.
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Ich werde Dir diesen GANG keineswegs vermiesen. Alles Geschmackssache, sagte der Affe, und biss in die Seife. (Und wenn ich an meine verschiedenen Geschmäcker so denke 😉 )
Mit den BEE GEES bin ich groß geworden. New York Mining Desaster 1941 geht immer noch. Und noch zwei, drei danach…
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Die frühen Bee Gees sind für mich gleichbedeutend mit meiner grossen Schwester. Sie hatte eine LP von ihnen, „Idea“, die hörte ich mir als Knirps an, doch interessanter fand ich das Cover. Leicht psychedelisch und in LILA! Musikalisch, na ja. Bee Gees war für mich Stayin alive und Night Fever, und obwohl die meisten Leute in meiner Umgebung das als Discokram abtaten, ich war begeistert. Und der Höhepunkt war Celine Dion mit den Bee Gees irgendwann 1998, Immortality. Mann, da hab ich geheult. Voll auf Shore.
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Deine große Schwester scheint in meinem Alter zu sein. Die LP „Idea“ kenne ich nur vom sehen. Als die rausgekommen war, hatte ich mich bereits anderweitig in Richtung progressivem Rock orientiert.
Musik als Tränenflussauslöser kenne ich auch gut. Allerdings bei anderen Musikanten…
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Ja, wahrscheinlich hat jede Musik ihre eigenen Tränen.
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Das glaube ich auch.
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Genau – DER Gang… Dein Statement dazu hat mich kurzeitig auf Trab gehalten. Was hat der Glumm bloss mit den rotbraunen Schuhen auf dem Pflaster? Und heute Morgen blitzte trotz Regen und grauem Himmel die Sonne der Erkenntnis. Diesen Gang gabs schon vorher – in meiner Jugendzeit. Doch sieh´ selbst:
http://www.youtube.com/watch?v=Xg8Q1Jik_ms
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Loop di Love! Au weia. Die Nummer hatte ich schon vergessen. Das war die Chirpy Chirpy Cheep Cheep-Zeit. Aber stimmt: der Gang hat was. Auf englischem Pflaster.
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Ich liebte die Bee Gees und Travolta. Da war ich dreizehn. Schmuggelte mich in den Film, obwohl der erst ab vierzehn war (ich dachte, die Schuhe mit den hohen Absätzen machen den Trick, naiv, wie ich war). Die nächtliche Szene mit dem am Strassenrand geparkten, wackelnden Amischlitten war mir rätselhaft, ich nahm sie hin. Erwachsenenwelt, geheimnisdurchtränkt und voller Versprechungen. Insgesamt war ich wohl drei-, viermal im Film. Bis heute ist das DER Film meiner Jugend, der mich sehr schnell auf einen trip down memory lane schickt.
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Ladenschwengel – so nannte man Typen die Travolta in Saturday Night spielte, Typen, die stumpf einen Job im Farbenladen machten und nur ans Wochenende dachten. Ich hasste den Film, wohl auch, weil ich in der Dorf-Disco immer im Schatten meines großen Bruders stand, der die Frauen im weißen Anzug über das Parkett wirbelte. Aber seinen Satz in Pulp Fiction, als er zu Umma sagt: „Ich weiß nicht, ob ich tanzen kann.“ Hut ab!
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Wow! Dein großer Bruder hat in Pulp Fiction mitgespielt..!?? 😏
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😘
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