Beim nächsten Krieg rechts halten

Sind die Leute da draussen eigentlich alle gleichzeitig bekloppt geworden? Oder ist es nach und nach geschehen, fast unmerklich und jeder für sich, bis es plötzlich soweit war, alle durchgeknallt?

Nicht, dass der Beantwortung dieser Frage zentrale Bedeutung zukäme, ich bin nur neugierig, und doch: Wären wir alle zur gleichen Zeit bekloppt geworden, einem chemischen Millionenruck gleich, einer gewaltigen zwielichtigen Initialzündung Richtung Untergang, dann hätten wir (immerhin) die Vorwürfe unserer Enkel vom Hals.

„WIESO ZUM TEUFEL HABT IHR DAGEGEN NICHTS UNTERNOMMEN?! IHR HÄTTET ES  DOCH MERKEN MÜSSEN, DASS KRIEG KOMMT ..!“

Merken müssen? Was denn? WIR???!

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Sie hat ein Näschen für Stimmungen in der Gesellschaft. Für die Ängste, die aus den Gesichtern springen, im Bus, im Bioladen, auf der Meile. Für die Untergangsszenarien, die jedes Gesicht für sich ganz allein durchspielt und an die Wand wirft. Die Angst, dass einem das Geld ausgeht. Dass die Kinder sich selbst erschiessen in schwarzen Kampfanzügen. Dass unser alter, aus Amerika importierter Traum vom Tellerwäscher zum Millionär schon auf unterster Ebene versagt: vom Teller zum Wäscher in 50 Arbeitsjahren.

Dass alles verreckt und der Erde zuletzt nur ein Sehnsuchtstraum bleibt: von einem Trumm aus dem Weltall zerrissen zu werden.

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„Diese schreienden Farben, dieses bonbonbunte Kindergarten-Zeugs! Dieses Neon überall! Es ist soweit! Die Lemminge stürzen sich wieder in die Farben!!“

Bevor es Krieg gibt, so ihre These, steht hysterisches Tanzen und Abfeiern auf der Agenda. Schreiende Warnwesten, alles, um die Fanfaren des Krieges zu überhören, zu übertünchen, zu überpinseln.

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Keine Ahnung, was los ist. Die Hunde scheinen sich vor irgendetwas schützen zu wollen, was schon in der Luft liegt, aber von den Menschen noch nicht wahrgenommen werden kann.

Vor 14 Tagen ging es los. Frau Moll liess sich beim Spaziergang immer häufiger zurückfallen, um Gras zu fressen. Das wäre an sich kein Aufreger, sie hat schon immer Gras gefressen. Gelegentlich. Hunde fressen Gras, um den Magen zu entleeren oder kantige Knochenstücke erbrechen zu können. Aber Frau Moll kotzt das Gras nicht aus. Sie behält es für sich.

Ungewöhnlich ist auch die Menge, die sie aufnimmt. Und die Unabdingbarkeit, mit der sie vorgeht. Selbst ihr vielgeliebtes Stöckchenwerfen am Zedernweg muss zurückstehen, sobald ein saftiges Stück Wiese auftaucht. Gras hat plötzlich Priorität.

Und dann hören wir im Gespräch mit anderen Hundebesitzern, dass dieses Phänomen überall beobachtet wird. „Buddy hat noch nie so viel Gras gefressen wie in den letzten Tagen“, meint eine Nachbarin. Sie hat den alten Schrottplatzhund bei sich aufgenommen, der in seinem Leben kaum Gras gesehen hat und plötzlich Riesenportionen vertilgt.

Die Hunde fressen Gras wie verrückt. Ob es am jungen Frühlingsgras liegt, das besonders nährreich und saftig ist? Schon möglich, wer weiß, aber es ist Herbst. Das macht keinen Sinn. Es bleibt ein Rätsel.

„Vielleicht schützen die Hunde sich instinktiv vor irgendeiner Gefahr“, meint die Nachbarin. „Vielleicht wappnen die sich mit dem vielen Gras.“

Ja, schon – aber wovor?

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Noch in den 80er Jahren passierte es, dass ich aufgewacht bin mit Sirenen im Ohr. Ich dachte, noch bräsig vom Schlaf, Scheiße, was ist los!? Ist Weltkrieg?? Erwischt es uns doch noch? Bis ich mich im Bett aufstützte und genauer hinhörte.

Ja, da waren Sirenen, da war Geheul über der Stadt wie kurz vorm Fliegerangriff, doch es war Samstagvormittag, Punkt 10 Uhr:

Probealarm.

Den gibt es schon lange nicht mehr. Mit dem Fall der Mauer wurden die meisten Lautsprecher abgebaut, frei nach der Devise: no Wall, no War.

Very einleuchtend, Sir.

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„Sag mal, wann war die Kuba-Krise genau?“ fragt sie.

„Hm.. 1962, glaub ich.“

„Schon klar. Aber wann? Im September?“

Ich weiß nicht, worauf sie hinaus will, aber sie ist im September 1962 geboren.

„Ja, kann sein..“, sag ich.

„Ich wusste es! Ich bin die Kuba-Krise! Immer kurz vorm Eskalieren! Immer kurz vorm dritten Weltkrieg!“

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„Es wird allen anbefohlen, keinen Vagabunden, keinen hinschleichenden Müßiggängern und Straßenschlenderern eine Nachtruhe zu erstatten.“

(Aushang in Solingen, 1722)

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Sie beginnt bereits Muttererde zu horten und nach nicht einsehbaren Grundstücken Ausschau zu halten, groß genug für einen Garten, der uns im Notfall durch den Kriegswinter bringt.

Das ist kein Spiel. Kein Kokettieren mit dem Schrecken. Es ist der Krieg in den Gesichtern, es ist der Grusel und der Verdruss, es ist die viele Technik, die sich einmischt und die Dinge nicht besser macht. Nur bequemer und bequemer und bequemer. Es ist der fortschreitende Hass auf alles und auf jeden, weil niemand verantwortlich ist. Es ist die große Misere.

Es ist bald Krieg – und alle müssen hin.

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„Wir können froh sein, dass wenigstens die Tiere nicht auch noch einen Job suchen, zusätzlich zum Nestbau, der täglichen Nahrungsbeschaffung, der Revierverteidigung und Aufzucht der Jungen – also, wenn Tiere auch noch arbeiten gehen müssten wie wir Menschen, das wäre eine Riesenkatastrophe da draussen. Das wäre der totale Krieg um Arbeitsplätze!“

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„Ich möchte doch mal wissen, was Bienen so denken. Ob die nicht stinkig sind, wenn die den ganzen Tag am Blütenkelch malochen, und dann kommt der dicke Imker daher und nimmt ihnen fast allen Honig weg. Da muss man doch stinkig werden, oder wie?! Hoffentlich zetteln die Honigbienen nicht auch noch einen Krieg an.“

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„Es gab immer was zu essen im Garten, als wir klein waren. Wenn wir Hunger hatten, zogen wir uns einfach eine Möhre aus der Erde. Oder wir pflückten Kirschen vom Baum oder Pflaumen und Mirabellen. Mirabellen..! Was haben wir uns den Bauch vollgeschlagen mit Mirabellen!“

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„Es liegt in der Natur der Deutschen: Wenn etwas schlimm ist, machen wir es noch schlimmer. Das haben wir quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Ein normaler Krieg reicht uns nicht, wir zetteln gleich einen Weltkrieg an, ach was, zwei Weltkriege. Wir verbrennen Millionen von Juden, wir schlachten Zigeuner ab und Schwule und Kommunisten und Behinderte, und warum? Um es schlimm zu machen, so schlimm wie möglich. So hart wie möglich, so gedankenlos wie möglich.“

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foto.baumInNacht

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„LARISSA,
HÖR DOCH MAL
ZWEI MINUTEN
DAS SABBELN AUF!“

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