Komma ich blute

Einen Tag vor Heiligabend saß ich in der Schnellbahn nach Düsseldorf, ich war auf dem Weg in den Puff. Hinterm Bahndamm. Nicht gerade ein Jazzclub. Ein Laufhaus, vierundzwanzig Stunden geöffnet. Massenabfertigung. Spritzen Sie hier ab. Schwanz waschen? Nicht? Dann tschüss. Kommst du gleich noch mal wieder. Du weißt, dass ich gut bin. Machen wir noch ein Nümmerchen. Es war eine seltsame Zeit damals. Natürlich ist jede Zeit seltsam, so im Nachhinein betrachtet, doch es gibt Zeiten, die sind in einem Maße seltsam, als hätten sie das Seltsamsein erst definiert, als wären ihnen der Weltspezialpreis im Seltsamsein zugesprochen worden.

Knapp drei Monate zuvor hatte ich seltsamerweise den Literaturpreis des Landes NRW erhalten. In Düsseldorf. In der Kunsthalle. An einem Samstag. Am folgenden Tag hatte ich einen kurzfristig organisierten und mit 1000 DM dotierten Auftritt auf dem Bücherbummel auf der Kö. Hätte es damals schon Poetry Slam gegeben, ich wäre wohl unter diese Rubrik gefallen. Aber wir schreiben 1986, kurz vorm Christfest. Ich saß in der S-Bahn Richtung D’dorf und fühlte mich seltsam.

*

Der Wettbewerbstext, den ich beim Kulturamt der Landeshauptstadt eingereicht hatte, ARNHEIM/DER BLUES, erging sich in Liebeskummer. Wie hätte es anders sein sollen. Ich kann immer nur darüber schreiben, was mir passiert. Ich bin die Sonne in meinem System, im Winter hatte sich meine erste große Liebe vom Acker gemacht. Ich brach kurzerhand zusammen und fing an zu schreiben. ARNHEIM flutschte aus mir heraus wie ein verzweifelter Rap. Lana war nach fünf Jahren gegangen, ich war am Ende. Ich wollte von der Brücke springen, das ganze Programm. Schreiben war E-Gitarre und Feuerlöscher in einem. Da war keine Lana mehr, die mir morgens einen Kuss gab, wenn ich verkatert aufwachte, da war nur noch Saufengehen mit Freunden und am nächsten Morgen über das Saufengehen schreiben – ich drehte und soff mich im Kreis und wartete auf Besserung.

Der Sommer 86 brachte die Wende. Ein heißer Sommer. Ich hatte diesen Kofferträgerjob im Turm-Hotel ergattert und stets Bares auf der Tasche, ich war braungebrannt und donjuante mich durch die Landschaft. Doch je länger ich abends unterwegs war, desto schwerer fiel es mir am nächsten Morgen, darüber zu berichten. Mit 25 schien ich den Zenit erreicht zu haben, da waren Anzeichen von Schwäche. Irgendetwas musste passieren. Die Option mit der Brücke war noch offen. Die Option mit der Brücke war immer offen. Die Option mit der Brücke war sozusagen die Absicherung, dass alles seine Grenzen hat im Leben. Auch das Erträgliche. Die Frage war nur: wer bestimmte, wann diese Grenze erreicht war und definitiv in die Tiefe führte. Nicht, dass ich wirklich an Selbstmord dachte, es war eher wie ein leiser Schatten, der mich auf Schritt und Tritt begleitete.

Da kam mir die Ausschreibung für den NRW-Literaturpreis in die Finger. Ich sandte ARNHEIM/DER BLUES und BLAU ein, fünf Seiten wie gefordert. Bis spätestens Ende August, hieß es, würde man unter den Einsendern 10 Autoren auswählen, die dann in einer Art Wettlesen in der Düsseldorfer Kunsthalle den Gewinner unter sich ausfochten. Es wurde Ende August, Anfang September, nichts geschah. Kein Anruf, kein Brief, nichts. Als zwei Wochen später immer noch keine Reaktion gekommen war, vergaß ich die Geschichte.

Morgens hing ich in der Badewanne mit meinem Dauer-Blues, als es an der Tür schellte. Ich war zu kaputt um aufzustehen. Wozu auch? Um dem schwulen Schornsteinfeger zu öffnen, der mir aufs Höschen schielte? Es wurde Mittag, als ich beim Verlassen des Hauses im Briefkasten nachschaute. Eine Benachrichtigung über ein Einschreiben. Möglicherweise eine Vorladung, vielleicht als Zeuge in einer Drogengeschichte, keine Ahnung. Mir fiel zwar niemand ein, der ein Drogenverfahren am Laufen hatte, andererseits hatte immer irgendwer ein Verfahren am Laufen.

Am nächsten Vormittag stiefelte ich zur Hauptpost und zeigte am Schalter Personalausweis und Benachrichtigung vor.  Und dann sah ich den Absender auf dem Umschlag, den mir der Postbeamte zuschob: Kulturbüro NRW, Düsseldorf. Ich ging zum Fenster und riss den Umschlag auf. Darin ein leeres, fünfseitiges Formular und ein Anschreiben:

Herzlichen Glückwunsch, in der Sparte Prosa gehören Sie unter 750 Teilnehmern zu den 10 Autoren, die dieses Jahr..

Ich stürmte zum Ausgang, die Treppe runter, ich sprang über die viel befahrene Kölner Strasse. „DIE GEBEN MIR NE CHANCE!“ Autos hupten. „DIE WICHSER!“ Dann zurück in die Poststelle, weil ich den Umschlag samt Formular auf dem Fensterbrett liegen gelassen hatte.

Für das Finale in der Düsseldorfer Kunsthalle war ein weiterer Text einzureichen, fünf Seiten lang. Ich entschied mich für „Scharfer Hund“, wo ich von meinen Anfängen als Nachtportier erzählte.

Kunsthalle Düsseldorf, 27. September 86.

Ich war als dritter oder vierter an der Reihe. Während das Gros der Autoren am Rednerpult traditionell publikumsfeindlich ins Mikrofon nuschelte und umständlich nach der nächsten Zeile fahndete, trug ich meine Story freihändig vor: ein Mittelstürmer, den quirligen Text eng am Fuß, in eine hellblaue Jeansjacke und dem Trikot der Cannabis Kickers mit der Nummer 59 gehüllt, in dem ich normalerweise in der Hobby-Liga gegen Teams wie Torpedo Kaarst aufzulaufen pflegte.

Dass ich den Text gut drauf hatte, lag an GEHT DOCH UM NIX. Mit Schnaat an der Gitarre, dem dicken Hansen am E-Piano, seinem Bruder am Schlagzeug und Schwarte Schwarz am Bass hatten wir ein paar Monate zuvor ein Programm mit Texten von mir auf die Bühne gebracht. Und so musste ich nicht mal groß aufs Blatt gucken, während ich SCHARFER HUND vortrug. Die Sätze waren eingebrannt.

Dass ich das Ding gewinnen könnte, kam mir erstmals in den Sinn, als ich im Foyer zweimal angepflaumt wurde: Erst von der Aufseherin, „ZIGARETTE AUS!“, dann von einer streng dreinblickenden Konkurrentin, „Ah, mein größter Widersacher..“, als wir uns auf der Treppe begegneten. Ich wußte nicht, wer die Dame war, bis ich an ihrem Revers das Namensschildchen sah, das wir teilnehmenden Autoren tragen sollten, ich aber nicht angesteckt hatte, weil es mir zu albern war.

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Preisverleihung im vollbesetzten Großen Saal. Nachdem der zweite Platz der Kategorie Prosa bekannt gegeben war, rutschte ich nervös auf der Stuhlkante hin und her. Blieb nur noch Platz 1 – alles oder nichts. Da erwischte ich den prüfenden Seitenblick meins Schwagers, der sich zu mir umdrehte. In diesem Moment wusste ich, dass ich gewonnen hatte.

.. ersten Preis erhält Andreas Glumm. Ihm gelingt es, aus dem Lebensgefühl eines großen Teils der jüngeren Geschichte heraus, Situationen des Alltags unversehens ins Groteske zu wenden. Bemerkenswert ist dabei die authentisch wirkende, starke und vitale Sprache.

Blitzlichtgewitter und Applaus. Ja, ich meinte sogar eine einzelne Fanfare wahrzunehmen, doch das war wohl ein Phänomen meiner Ohren. Meiner Familiengeschichte, meiner Vorfahren, die gerne mal auf den Putz hauten und den Silberrücken hervorkehrten.

(Anfang des 19. Jahrhunderts hatte es einen vermögenden Glumm gegeben, der seine Ländereien gern auf einem weissen Schimmel abreitete, an den Stiefeln vergoldete Sporen. Er endete tragisch. Er verspielte jeglichen Grund und Boden am Roulettetisch und hatte danach immer noch Spielschulden. Er war keine vierzig Jahre alt, als er an den Stadtrand gelockt und erschlagen wurde. Zur Abschreckung nagelte man seinen Leichnam an das Wasserrad des Kohlfurter Kotten, wo er sich einen Tag und eine Nacht lang durch die Wupper drehte.)

Der Kultusminister strahlte mich an und überreichte die Urkunde, einen großen grünen Scheck über zweitausend Mark und einen Strauss Pferderosen, von dem ich schon zehn Minuten später nicht mehr wusste, wo er abgeblieben war. „Ich muss pissen!“ rief ich den verdatterten Fotografen zu, und weg war ich. Bereits vor der Bekanntgabe der Preisträger war ich minutenlang unruhig auf dem Sitz hin-und hergerutscht, aus Nervosität, logisch, aber auch wegen der randvollen Blase. Nach meinem Vortrag war noch Zeit gewesen bis zur Preisverleihung und ich hatte einige Bier und Killepitsch getankt, eine süße Düsseldorfer Spezialität. Und nun floh ich mit Scheck und zusammengefalteter Urkunde, aber ohne Blumen, aus dem Kameralicht in Richtung Scheißhaus. Als ich zurückkehrte, wollte sich die Jury gerade aus dem Staub machen, darunter eine nicht unsympathische weißblonde Intellektuelle um die Fünfzig, im Tross mit anderen wichtigen Figuren aus dem Literatur-Obergrund.

„He! Was ist denn jetzt?“ rief ich und flog hinterher.

Sollte das alles gewesen sein? Die lumpigen paar Mark, die Urkunde, der Strauss Rosen, der weg war? War ich jetzt nicht weltberühmt? Niemand hörte zu. Die Juroren hatten ihre Arbeit getan, man wollte jetzt in den Goldenen Kessel, wo es Freibier gab und noch mehr Killepitsch. Bis auf die Literaturagentin aus Meerbusch. Eine kühle zurückhaltende Person, deren Metier eigentlich Reisereportagen und politische Essays waren, wie sie mir erklärte.

„Na schön“, seufzte sie, als ich nicht locker ließ. „Besuchen Sie mich nächste Woche in Meerbusch, und bringen Sie Arbeitsproben mit.“

Meine Texte gefielen ihr, wir schlossen einen Vertrag. Die Absagen der Verlage, die sie anschrieb, liess sie mir zukommen. „Für die von Ihnen angestrebte Absichtslosigkeit“, so Kiepenheuer & Wietsch, sei das ganze „nicht absichtslos genug.“ Auch die Agentin machte bald einen ratlosen Eindruck, und nach nicht mal sechs Monaten war Schluss mit Achselzucken. „Eigentlich vertrete ich ja mehr anglo-amerikanische Reise-Literatur.“

Ach so. Ja. Richtig.

2000 Mark brachte mir der Preis, und am folgenden Sonntagmorgen kassierte ich noch mal 1000 Mark für einen einen einzigen Auftritt auf dem Bücherbummel auf der Kö. 3000 Mark an einem einzigen Wochenende. Es hatte Vorteile, es lag auf der Hand, ein Star zu werden.

„Scharfer Hund!“ – wie einen Fußball-Helden feierten die Solinger unter den Zuschauern „ihren“ Autor, den 1. Preisträger für Prosa, Andreas Glumm. Wenn er seine Texte vorträgt, oft frei, die Augen nach oben oder blitzschnell ins Publikum gerichtet, halten sich Selbstsicherheit und eine gewisse Verlegenheit, ob er das denn auftischen kann, die Waage. Authenzität wurde ihm bescheinigt.

(Rheinische Post, 29. September 1986)

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Es war wie immer. Kaum hatte ich den größten Erfolg meines Lebens errungen, setzte das Übliche ein. Meine alte Verweigerungstaktik. Einen Schritt vor konterte ich stehenden Fußes mit einem Schritt zurück. Ich war ein großer Freund von Ausgleich, von Balance, von leckt mich alle am Arsch, ich mich selbst ganz besonders. Ich war die große glückliche Bulldozerseele, ich war der Konteradmiral. Ich wollte meine Ruhe haben, erst recht in einem Moment, wo ich stolz wie Oskar war, und stellte das Schreiben ein. Wofür sich noch groß den Arsch aufreissen. Ich war doch schon berühmt. Ich hatte dreitausend Mark – in Worten: dreitausend – an einem einzigen Wochenende im Herbst verdient – was sollte da noch kommen. Das war nicht zu toppen.

Schon keine zwei Monate später erschien mir dieser Samstag im September 86 wie eine Fata Morgana, als wäre es bloß ein kleiner Schriftstellertraum von Ruhm und Ehre gewesen, als hätte das legendäre YPS-Magazin dem Herbst-Heft ein Literatur-Gimmick beigelegt, versehentlich. Ein Produktionsfehler. Ein Redaktionsirrtum.

Bockmist.

Lana war mir durch die Lappen gegangen. Sie hatte Schluss gemacht, war mit einem Bundeswehrsoldaten durchgebrannt. Sie hatte Mut bewiesen nach fünf oder sechs gemeinsamen Jahren und den Schlussstrich gezogen. Mir blieb das ungute Gefühl allein zu sein in der Welt, allein unter all diese Leuten, von denen ich zumeist nicht wusste, was ich von ihnen halten sollte.

Ich sollte ficken fahren, dachte ich.  Männer, die allein sind, gehen in den Puff. Ich bin ein Mann, ich bin allein, ich fahr in den Puff. Ole.

Und natürlich – ich trank zuviel. Immer noch. Jetzt erst recht. Vertrug ich das Trinken nicht mehr. Immer weniger. Die Sauferei. Es gab Tage, da riss ich beim Aufwachen erschrocken die Augen auf – erschrocken, weil ich mich umguckte und noch lebte. Detonierter Bauch, die Zellen zerrüttet, solche Tage.

Tage, wo Blut kam.

Tage, wo ich mich abends lächerlich machte am Tresen, wo ich den Ausgang, den Weg nach Hause nicht fand. Es waren dieselben Tage, die mich morgens mit dem monotonen Geräusch eines Wassertropfens empfingen, der in der Küche aus dem lecken Wasserhahn fiel und peu a peu eine Kerbe in den Spülstein trieb, im Takt schneller hastiger Herzschläge. Solche Tage. Beschissene Tage.

Tage, wo Blut kam.

Wenn ich aufs Klo ging und pinkelte, war ich stets darauf vorbereitet, Blut in der Schüssel vorzufinden. Das große neue Menetekel, seit der beste Freund meines Schwagers an Blasenkrebs gestorben war. Das erste Anzeichen, dass er krank war, war Blut gewesen, das er auspinkelte. Nach dem Volleyball-Training war es gewesen, als er meinen Schwager in der Umkleidekabine beiseite nahm, „du, ich hab Blut im Urin.“ Kein halbes Jahr später starb er in den Armen seiner Frau, ausgezehrt von der Chemotherapie. Seither wartete ich nur darauf, Blut zu pissen. Erst recht an verkaterten Tagen. Wo Blut sowieso kam.

Vielleicht sollte ich ficken fahren. Morgen ist Heiligabend.

Da kam immer der Heiland.

*

23. Dezember 1986

Als die S-Bahn quietschend in den Düsseldorfer Hbf einläuft und ich auf den Bahnsteig trete, bin ich plötzlich unschlüssig. Will ich wirklich in den Puff? Sex im Puff ist, als würde ich in einem Pornofilm mitspielen, vor laufender Kamera, in aller Öffentlichkeit. Ich meine, ich kenne die Frau ja gar nicht. Die Prostituierte. Was für einen anderen Mann reizvoll ist, bedeutet für mich hauptsächlich Stress. Erst dann Lust. Vielleicht. Wenn ich Glück hab.

Andererseits, wo ich schon mal in Düsseldorf am Bahnhof bin, nehme ich den Ausgang in nördlicher Richtung, wo die Sex-Shops ihren Standort haben. Peep Shows, Pillow Talk. Kleine Schneehaufen vor den Türen, schmutziges, mit Rollsplitt verbackenes, von gestern übrig gebliebenes Püree, über das man hinwegsteigen muss, wenn man den Vordereingang nimmt.

Stickige verbrauchte Männerluft. Es drängeln sich Männer vor Schaukästen mit Fetischwäsche und Spezialwerkzeug, unbeholfen, wie kleine Jungs an der Fleischtheke.

“Ich hätte gern.. ähm.. von dem.. da..”

“Von dem hier, kleiner Mann?”

“Genau, ja! Von dem.. da!”

“Das ist Gehacktes, mein Junge..”

“Gehacktes??! Oh.. ähm. Ja. Dann ein.. Pfund Gehack.. tes.”

“Ein Pfund, wird gemacht, kleiner Mann. Für die Mutti, hm? Sonst noch einen Wunsch?”

“N- nein.. danke! Auf Wiedersehen!”

Ich nehme die erstbeste Videokabine in einer langen Reihe von Videokabinen. In dem Kabuff, nicht viel größer als ein Passfotoautomat, müffelt es nach Dixie-Klo, trotz cws air control. In so einem Ding wollten wir es mal treiben, Lena und ich, aus einer Laune heraus, doch kaum hatten wir zugesperrt, pochte es an der Tür, „he, ihr beiden! Raus da – aber dalli!“ Ich kicke die Rolle Kleenex von der Sitzbank, bloß nichts anfassen, schon gar nicht die Wichsgriffelrolle, und werfe ein Fünfmarkstück  in den Schlitz. Der Video-Bildschirm hat 64 Programme, per Knopfdruck abrufbar, zur richtigen Zeit, wie der Werbeaufkleber suggeriert: spürt der Wichser, dass es ihm gleich kommt, braucht er den Button mit der anderen Hand nur so lange bearbeiten, bis es in einem der 64 Kanäle auch gerade jemandem kommt, zur dekorativen Ejukalala.

Nun sei mal nicht albern, Junge. Sex ist eine ernste Sache. Besonders wenn man allein ist mit seinen Fingern.

Ich hab eine Knastszene drin, PROGRAM 23. Wärter rammel blonde Inhaftierte, zweiter Wärter kommt hinzu, sich selbst rammelnd, wortlos, ich höre nur den Sound aus der Nachbarskabine.

„..endlich kümmert ihr euch um mein Fötzchen.. hab ich auch was davon..“

„blas ihn mir wieder hoch..“

„und jetzt.. zwei Schwänze.. ooh Mann..“

„das hat es ja nicht mal.. in Paris gegeben..!“

(Dabei war es in Paris genauso.)

„..super.. jaaa.. spritz alles raus.. gleich.. jaa.. jeeetzt.. hast du es geschafft..“

„He! Ich bin auch noch da..!“

Ich auch. Ich will aber nicht abspritzen, ich will nur meine Konstitution überprüfen – Pimmel-TÜV. Er steht so dreiviertel. Zu viel getrunken gestern, kommt es mir im Puff gleich zu schnell. Da kann ich mir auch gleich einen kloppen lassen, kommt billiger. „Einen kloppen“, nichts hat Lena früher mehr genervt als solche Jungs-Formalien. Fragt sich bloß, wo der überhaupt ist, der Puff. Hinterm Bahndamm. Bin vor ein paar Jahren mal hier gewesen, aber ich war betrunken und die Nutte war noch betrunkener und forderte dauernd MEHR GELD, aber ich hatte kein MEHR GELD, also krallte sie sich einfach meine weisse Kapitänsmütze, als Trophäe, mir wars egal.

Kann mich ansonsten nur daran erinnern, dass der Puff groß war, ein Kasten, eine Kaserne beinah. Und so laufe ich durchs Bahnhofsviertel, die Hände in den Hosentaschen, auf der Suche nach einem großen grauen Puff namens Hinterm Bahndamm. Schwachsinn alles, doch es treibt mich voran unter dichten fleckigen Wolken, isoliert im Ich, ohne Traute, jemanden nach dem Weg zu fragen. Unterwegs sein in der Welt, um den Puff zu finden, was gibt es schwierigeres, denk ich und lache auf. Einmal begegnen mir zwei Jungs, die einen vollen Kasten Bier nach Hause schleppen, die hätte ich fragen können, doch dann sind sie fort, bevor ich mich aufraffen kann sie anzusprechen.

Jeder Einsame denkt, er fällt auf in seiner Einsamkeit. Als habe man es ihm mit riesigen Lettern ins Gesicht gemeisselt: ICH. BIN. EINSAM. GEH. WEG.

Je länger ich in den Strassen unterwegs bin, desto bekannter kommt mir das Viertel vor. Hatte ich hier nicht mal mit dem dicken Hansen Haschisch gekauft, Jahre zuvor..? Der Dealer war ein hagerer Reggae-Typ und hauste in einer Sozialwohnung. Parterre war ein Kiosk, das weiss ich noch, die verkauften Kölschbier in Düsseldorf. Nachdem der Dealer endlich geöffnet hatte, auf Klingelzeichen, ein hektischer, ein ungemütlicher Typ, verrammelte er die Etagentür gleich wieder, mit einer schweren Kette und Sicherheitsschlössern. Und das bei meiner Bullenparanoia. Die Bude selbst war eher eine Art Schlauch, die Teppiche übersät mit Brandlöchern, das Licht kroch gelb und spärlich aus Deckenschalen. Sobald die Etagentür verschlossen war, wummerte es wieder aus mannshohen Boxen: Rodigan’s Rockers, die wöchentliche Reggae-Show auf BFBS, dem britischen Soldatensender im Rheinland.

„Der hat soviel Shit im Haus, das lässt sich in hundert Jahren nicht wegrauchen“, hatte der dicke Hansen auf der Hinfahrt noch geprotzt, doch nun hiess es plötzlich, ihr müsst euch noch was gedulden, der Brösel ist unterwegs, wird gerade gepresst. Dauert noch’n klein Moment. Der Dealer bot uns Rauchproben an. Zur Auswahl standen Türke und Roter Libanese sowie holländisches Powergras. Ich wäre am liebsten auf der Stelle abgehauen, doch das Geld war nicht mein Geld, es war Hansens Geld und wir waren mit seinem Wagen da und er hatte die Ruhe weg, wie immer. Er saß da und wippte zur Musik – eine endlose Parade von Rastasongs, stets im gleichen verfluchten Rhythmus. Ich teilte mir einen Bong mit dem dicken Hansen, obwohl ich gar nicht so richtig wollte, aber nun war ich ja schon mal bei einem Großdealer auf der Bude. Das Wasser blubberte in der Flasche, als der Dealer aufstand und hin und her tigerte. Jäh blieb er stehen, spähte aus dem Fenster, als erwartete er jeden Moment das Sondereinsatzkommando, und da geschah es. Das Haschisch implodierte. Ich spürte einen Riss in meinem Kopf, in meiner Seele, ich bekam Platzangst. Der Typ hat doch nicht umsonst so ne Action gemacht mit seiner Wohnungstür. Jeden Moment erwartete ich die Ramme des SEK Düsseldorf. Und da war dieses schiefe Gefühl, dass etwas gerissen war in mir, irreparabel, auf ewig schief: Die alte LSD-Angst, im falschen Moment am falschen Ort zu sein und das falsche Zeug genommen zu haben und nicht mehr zurück zu können.

Eigentlich dürftest du gar nichts mehr kiffen, hatte Lena mal gemeint. Wenn du noch Wert auf dich legst. Auf die Gesundheit deiner Seele. Dann lass die Kifferei.

Der dicke Hansen spielte mit dem Autoschlüssel in der Hand, spielte damit wie mit einer Gebetskette, völlig unbeeindruckt von der Situation, in der ich gerade absoff, während der Dealer schon den nächsten Bong stopfte und dazu mit den Füßen zum Reggae aufstampfte – diese verfluchte monotone Reggaemusik – ich muss mich abkühlen, dachte ich, muss mich runterholen, komm runter, Glumm, sag was, sag irgendwas, egal was.. was belangloses.. Der Dealer schien zu merken, dass etwas nicht stimmte, ganz und gar nicht stimmte, er glotzte so komisch rüber zu mir, sagte aber nichts.

„Kennst du auch Soul Train..?“ fragte ich endlich, um etwas zu sagen, um mich zu befreien, doch er verstand nicht, was ich gesagt hatte, ich wurde lauter mit ausrutschender Stimme, „Soul Train.. auf BFBS.. immer mittwochs..“, doch er starrte nur in seinen Bong und meinte desinteressiert, “Soul? Nee, Soul find ich nicht gut, ich kann nicht immer alles gut finden.” In diesem Moment lagen die Achtzigerjahre vor mir, gebündelt und geschnürt zu einem einzigen Satz: Ich kann nicht immer alles gut finden.

Ja klar! dachte ich.

Ich kann jetzt auch nicht gut finden, dass ich hier so blöd durchs Bahnhofsviertel stiefle, aber ich stiefle nun mal blöd durchs Bahnhofsviertel, auf der Suche nach dem Bahndamm, nach einem Puff, einer professionellen Anfasserin, aber so ist das nun mal, also reiss dich zusammen und frag endlich irgendeinen Typ in deinem Alter, wo der verdammte Bahndamm ist.

“Da vorn durch den Tunnel, die erste rechts und immer geradeaus.”

Hinterm Bahndamm. Ich erkenne es auf Anhieb wieder. Vorm Eingang zum Kontakthof drückt sich ein Haufen türkischer Männer herum, lamentierend, Kerne spuckend. Ich betrete den Hof. Zwei Nutten lehnen an der Backsteinmauer.

“Kommste mit?”

Ich grinse.

“Da grinst der nur.”

Ich streife die unterste Fensterreihe ab. Die meisten Vorhänge sind zugezogen, auf den Scheiben Zimmernummern, manchmal ein Name. Gabi. YVONNE 65. In der Hofmitte, an den Münzgeldautomaten, die Türken, die sich demonstrativ an den Schwanz fassen, wenn eine neue Hure ihren Dienst beginnt.

Plötzlich ist sie neben mir.

“Magst du dich verwöhnen lassen..?”

Lederstiefel, dunkles Haar, freundliche Augen.

“Weiß nicht”, sag ich. Mehr kriege ich nicht raus.

“Dann komm.”

Sie hakt sich bei mir unter. Mit dem Lift gehts drei Etagen hoch, Zimmer 55.

“Bist du das erste Mal hier?” fragt sie, als ich im Kabuff stehe, die Hände in den Hosentaschen.

“Was.. nein.”

“Wieso guckst du dich dann so um?”

Gute Frage. Ein Bett mit brauner Steppdecke, zwei Stühle, ein Tisch, darauf eine Schale mit Billy Boys‘ bunter Vielfalt und Bonbons.

„Nur so.“

“Und? Schön bumsen und blasen?”

Ich stehe da, verschwitzt. Klebriger Schweiss, wie in Spucke gewälzt plötzlich – ich glänze wie ein Live-Act.

“Nee. Lieber nur runterholen.”

“Och”, sagt sie enttäuscht und zieht sich nicht weiter aus. “Kost‘ vierzig Mark. Warum nicht schön bumsen und blasen?”

Ich blättere zwei Zwanziger auf den Tisch. Sie nimmt die Scheine und stopft sie in eine Gelddose, zu den anderen Männern.

„Nee. Lass mal.“

“Na schön. Mach dir es bequem.”

Ich setze mich auf den Bettrand.

“Schwanz waschen?”

“Was..? Nachher.”

Ich lasse die Jeans runter, sie setzt sich dazu, den Pullover knapp über die Titten hochgeschoben. Schöne Titten, kalte Dinger.

“Wirklich nur wichsen hallelujah? Nicht schön bumsen und blasen?!”

Ich muss lachen. Das lockert.

“Ja, nur.. wichsen hallelujah.”

Ich lege mich auf den Rücken, mit aufgestützten Ellbogen. Sie nimmt ein Kleenextuch und breitet es in Spritzrichtung über den Bauch aus. Wie ein Auffangtuch von der Feuerwehr.

“Magst du geile Bilder sehen?”

Nein. Wieso?

„Präser?“

Auch nicht. Dann ist sie durch mit Angeboten.  Dann macht sie es. Sie wichst mir einen. Ich gucke zu. Sie guckt zu. Ich gucke ihr zu, wie sie meinen Schwanz anguckt. Sie macht es gut. Gekonnt. Ich schraube kurz an ihren Titten herum, doch da ist kein wirkliches Gefühl in meiner Hand.

“Spritz in die Luft!” ruft sie, als ich komme.

Sie lächelt.

“Ging schnell, ne..?”, sage ich, halb fragend.

“Naja. Bei manchen Typen muss ich das Ding nur berühren, schon explodieren sie.”

Kann schon sein. Ein eindeutiger Sieger bin ich aber auch nicht. Sie geht zum Waschbecken.

“Komm, schön Schwanz waschen.”

“Nee. Lass mal.”

“Na, musst du wissen. Jetzt hast du schön leer gespritzt und du weißt, dass ich gut bin. Kommst du später noch mal wieder, schön bumsen und blasen.”

“Mh”, sage ich und nehme die Treppe.

Im Kontakthof schnitze ich mir was markantes um den Mund rum, wer weiß, vielleicht hat einer von den Pennern hier mitgekriegt, wie ich mit der Kleinen aufs Zimmer verschwunden bin, und jetzt, keine zehn Minuten später, bin ich schon wieder zurück, “Schnellspritzer!” höre ich sie mich verhöhnen, “dreimal hoch, dreimal runter, ha-ha-ha!”, also schnitze ich mir was markantes um den Mund rum, so, als wolle ich sagen: Jungs, ich hab mit der Kleinen nur ein Geschäft abgewickelt, wir hatten was wichtiges zu besprechen, von dem ihr keine Ahnung habt, vielleicht hab ich sie auch auf die Schnelle erdrosselt, vielleicht bin ich ein böser Mensch. So lüge ich mich bis zum Ausgang, wo lauter Türken stehen und lamentieren, lebhafter mittlerweile, Pistazienschalen spuckend. Natürlich hat niemand etwas mitgekriegt von meinem Puffbesuch und meiner Schnitzarbeit, geschweige denn hat mich jemand ausgelacht: Männer im Puff interessieren sich für alles mögliche, aber bestimmt nicht für andere Männer.

Bloß raus aus dem Bahnhofsviertel. Ich nehme die Straßenbahn Richtung Altstadt. Morgen ist Heiligabend, die Leute schieben sich durch die Fußgängerzone. Vorm Horten singt ein dicker Junge mit Brille und Sheriffstern, zu seinen Füßen eine Zigarrenkiste mit Münzen, er trällert Adventslieder, so unmittelbar vorm Stimmbruch.

Ich stoppe an einer Bratwurststube.

„Drei Reibekuchen.“

Das einzig Wahre nach einem Bordellbesuch.

„Mit Apfelmus?“

Der Koch, er trägt ein weiße Kochmütze, reicht mir den Pappteller über den Tresen und erkundigt sich bei dem offensichtlich amerikanischen Touristen neben mir, „May I help you, Sir?“

„Yep, what about Wurst, Sir?“

Der Koch nickt in Richtung Schwenkgrill, auf dem Thüringer Bratwürstchen kokeln.

„A long one?“

Der Tourist schaut sich unsicher um, er sucht seine Frau, die in einiger Entfernung das Gepäck hütet.

„Mh, from Heidelberg, this wurst?“

„Heidelberg?“ Der Koch nickt. „Yes. Heidelberg.“

Ich reihe mich ein in den Strom der Passanten. Ich sehe weiche verhätschelte Gesichter, andere wie aus der Asservatenkammer. Von der Helligkeit der Schaufenster angezogen, bleibe ich vor einem Frisörsalon stehen, schaue mir ein bisschen die Auslage an, den neuen Look, Dreadlocks.

Ich könnte mir auch noch mal die Haare schneiden lassen. Immer nur Locken, dicke unordentliche Dinger, seit Ewigkeiten. Komm mir überhaupt so siffig vor. Keine Alte guckt mich mehr mit dem Arsch an.

“Womit kann ich dienen?”

Na, was wohl, Haare schneiden. Ob ich einen Termin habe? Ich habe nicht sehr oft Termine. Der Geschäftsführer mustert mich geringschätzig und überfliegt eine offen liegende Kladde.

“Siebzehn Uhr hätte ich etwas frei.”

“Wie denn, siebzehn Uhr?! Jetzt gleich geht’s nicht?!”

“Nein, leider. Sie sehen ja, alles besetzt. Tut mir leid.”

Ich finde, dass er im Schritt stinkt und probiere es in zwei oder drei anderen Salons. Bei Gina schließlich hab ich Glück. Kleiner Palast. Gina hilft mir aus der Jacke und bietet mir einen Platz an einem wackligen Bistrotischchen an.

“Möchtest du Kaffee?”

Ohne die Antwort abzuwarten serviert sie ihn postwendend und lauwarm. Ich schnappe mir eine Illustrierte, ein Stadtmagazin, wo Leute für eine Szene schreiben, die längst verreckt ist an ihren eigenen Leuten, doch was rede ich hier überhaupt? Wen juckt das alle? Gina hilft mir da raus. Persönlich.

“Kommst du mit?”

Vor einer Galerie von zwanzig Spiegeln versinke ich in einem ledernen Drehstuhl. Gina greift mir wollüstig ins Haar.

“Schau mal, steht dir doch viel besser so. Da kommen deine Augen viel mehr zur Geltung.”

Augen? Die ist gut. Trübe Glubscher. Blutunterlaufenes Material. Ich bin unrasiert und blass. Es juckt. Junge, bin ich lädiert. Seh ich scheisse aus. Bin ich froh, wenn der Mist runter ist.

“Stehst du mal auf?”

Sie bindet mir einen Kittel um.

“Noch einen Kaffee?”

Ich setze mich und schaue mir die Stylisten an, wie sie um die Kundschaft herumwieselten und dabei Konversation machen, mit wieselflink flatternden Augenlidern.

“Kommst du mal mit?”

Ich bin hier nur am Mitkommen. Diesmal nicht mit Gina, sondern mit einer Rothaarigen. Einer Lobsterroter. Es geht eine Etage höher, zum Haarewaschen.

“Such dir ein Waschbecken aus.”

Ich nehm das erstbeste. Behutsam drückt sie meinen Kopf in die Nackenschale, Wasser braust durch mein Haar, ihre langgliedrigen Finger.

“Temperatur ist angenehm?”

Es gluckert leise im Abfluss. Ja, sag ich. Hauche ich. Sie legt Shampoo auf und massiert meine Kopfhaut. Ich schliesse die Augen und entspanne, fast scheint es mir, als mache sie es zärtlicher als nötig, aber vielleicht ist es nur der Hygiene wegen. Egal, heute bin ich für alles am Löhnen, für die Hure, dass sie mir einen kloppt, für die Frisöse, dass sie mich massiert.

“So”, die Rote rubbelt mein Haar trocken, “fertig.”

Ich wendle die Treppe runter, wieder auf meinen Drehstuhl.

“Magst du noch einen Kaffee?”

Will die mich verscheißern? Sie reicht mir das Stadtmagazin, das ich wortlos ablege, dann beginnt sie zu reden. Sie redet und schneidet und redet und schneidet, bis ich mich irgendwann genötigt sehe, auch was zu sagen, bloß – was? Ihr französisches Aussehen verleitet mich schliesslich zu der originellen Frage, ob sie Französin sei.

“Nein. Italienerin.”

Gott sei Dank.

“Aber meine Mutter stammt aus Frankreich.”

Scheiße.

Sie trägt ein schwarzes Leibchen, das einiges an Bauch herzeigt, und während ihre Schere mit scharfem Schnitt in meine Parade fährt, versuche ich einen Blick von ihrem Busen zu erhaschen, aber der ist gut und fest eingepackt, nichts zu machen. Schließlich ist es soweit, der Struwwel ist entpetert, Gina rasiert schon meinen Nacken aus. Am Ende präsentiert sie mir ihr Werk, mit einem zweiten Spiegel. Kann mich nicht erinnern, jemals so kurzes Haar gehabt zu haben. Hart an der Grenze zum Hautkopf höre ich meinen Bruder schon auflachen.. Doch, sehr diszipliniert, Fremder.

Gina föhnet, Gina gelt. “Pass nur auf. Gleich auf der Strasse guckt sich jedes Mädel nach dir um.”

“Ich nehme dich beim Wort”, sage ich und zahle vierzig Mark.

Gina reicht mir ihre Visitenkarte, “falls du mich weiterempfehlen möchtest.”

Draußen hab ich voll die Kälte am Hals. Sehr ungewohnt. Ich taxiere einige Düsseldorferinnen, he, alle mal herschauen, der Glumm war beim Frisör, doch die Resonanz fällt dürftig aus. Was möglicherweise auch an meiner restlichen Erscheinung liegt. Aber noch ist was vom Preisgeld über, noch ist nicht alles vertrunken, nur zu – keine halbe Sachen. Eine neue ganze muss her. Sache. Hose. Stangenware.

Warenhaus Horten.

Hier gibt es die neuen ganzen Sachen. Hosen. Herrenmieder. Stangenware. Aus Jux probiere ich eine Bundfaltenhose, die passt sogar, mehr oder weniger, ist mir aber doch zu affig. Was mir gefällt, sind schwarze verwaschene Jeans in Karottenform. Ich staple ein paar übereinander und schleppe sie mit in die Umkleidekabine, die riecht nach Leberwurst. Kann auch an meinen Schweißfüssen liegen. Eine Hose ist viel zu weit, schlabbert an der Taille, die nächste zu kurz, eine weitere zu eng. Ich komme einfach nicht zurecht mit den amerikanischen Größen. Gebe entnervt auf. Stolpere durch die einbrechende Dunkelheit, die vorweihnachtliche Meute. Keine Sau nimmt Notiz von mir.

Ich versuche es im Kaufhof. Halte zielstrebig auf den Verkäufer zu, ein Asiate, er trägt einen langen und überaus schmalen roten Lederschlips.

“Meine Bundweite”, sag ich, „brauch ich.“

Er versteht nicht, ich wiederhole, er versteht und holt ein Zentimeterband.

“Was suchen Sie denn?”

“Schwarze Jeans in Karottenform”, erkläre ich bündig, er nickt und verschwindet und kehrt wenig später mit einem Haufen Hosen zurück, nur nicht mit der richtigen. Ein deutscher Oberverkäufer stösst hinzu.

“Kann ICH Ihnen weiterhelfen..?”

Er bedeutet dem Chinesen, sich vom Acker zu machen.

“Mein Kollege ist ganz neu hier”, sagt er entschuldigend, und ich trage dem Glattarsch auf, mir eine Karotte zu besorgen. Er bringt drei Stück in verschiedenen Größen, ich mache grobe Leberwurst aus der Kabine, die Jeans passen alle drei, mehr oder weniger, ich entscheide mich für die engere und behalte sie gleich an.

Mittlerweile ist es dunkel geworden, dennoch versuche ich das weibliche Düsseldorf mit flackerndem Blick zu provozieren. An der Straßenbahnhaltestelle Richtung Hauptbahnhof gelingt tatsächlich ein Flirt mit einer hinreißenden Dunkelhaarigen, bis sie einsteigt und abrauscht, ohne sich noch mal umzudrehen, blöde Kuh.

Ein überraschender Anblick: ein dicker Junge steht in der Einkaufsmeile und singt Weihnachtslieder. Er trägt einen Sheriffstern an der dicken Daunenjacke. Er ist höchstens 11, 12 Jahre alt, und seine Version von Stille Nacht berührt einige Leute so sehr, dass sie tatsächlich stehenbleiben und seinen Klingelbeutel füllen. Es gibt Songs, (nicht viele, aber es gibt sie), die verlassen ihren Schöpfer und werden mit der Zeit Allgemeingut, dass man vergisst, wer es geschrieben hat. Für einen Songschreiber ist es das größte Kompliment. Es ist, als habe die ganze Menschheit an dem Lied geschrieben.

Schnellbahn zurück nach Solingen. Ich starre nur noch aus dem Fenster. Dingsda e pericoloso. Hinter mir sitzt jemand, der so kräftig mit den Beinen arbeitet, ich werd das Gefühl nicht los, ich hätte einen unruhigen kleinen Hund zwischen den Füßen. Nächster Halt: Oberbilk. Mein Gegenüber, ein Türke, macht mich per Handzeichen auf das Kärtchen aufmerksam, das mir aus der Jackentasche gerutscht ist. Ich hebe es auf.

Endstation.

Noch vom Bahnsteig aus rufe ich die Nummer an und frage, was sie mir denn da versprochen habe, so leichthin.

“Wie..? Wer.. spricht denn da?”

“Na, der Kerl, dem du eben die Locken geschnitten hast.”

“Ah.. ja.. und was hab ich dir versprochen?”

“Na, dass sich jedes Mädel nach mir umdreht. Das haut nicht hin. Lüge!”

Gina gackert.

“Du darfst nicht aufgeben.”

“Ja”, sag ich, und lege auf.

9 Gedanken zu „Komma ich blute

  1. mir gefällststs
    glumm der pphilosoph und geiler Blogger
    er hat ein Forum geschaffen
    das jeden Konflikt vermeidet
    eine besondere gabe
    aber auch wegen überlastung der Netzwerke
    absturz oder so
    der meistgelesene

    wenn ich mir die scheisse auch noch angucken darf im fernsehn
    wo ein specht hecht brecht auch philosoff
    alle drei Wochen einen shit landet
    was ein denker
    der blödmann ist schon den quallen auf der spur
    aber nur weil die quallen angeblich 8 Gehirne besitzen
    auch fische findet er schlauer als Mörn
    seine Kompetenz ist und bleibt unnacharmlich
    kann das sei das vom denken oder abkupfern leidet

    egal wie oft oder öfters ein mensch ja sagt zur gedankenkenlosigkeit

    glumm lebt mit einer frohen Botschaft
    kein nervöses gehampel
    hier wird Klartext gestylt ohne punkt und komma
    was freihhalten die Devise
    nicht
    absacken
    seine Kunst bsticht vor allem durch das kosequente liegenlassen von ELFME
    tern
    hin und her
    oderdoch
    ich kenne glumm als fairen Sportsmann
    egal vor welchem tor er auftauchte
    seine Kopfballtore unerreicht
    ein Weltklasse
    das schöne war wenn die latte im weg war

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  2. Pingback: Der Blogger Glumm schreibt richtig klasse – ich wünschte, ich wär halb so gut | meinedrogenpolitik

  3. Pingback: „Pleite sein und ich feiern demnächst Gnadenhochzeit“ - TWASBO Magazin

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