Nach der Lesung

Nach der Lesung, ich steh gerade mit dem gutgelaunten Zurück in Berlin zusammen, einem Blogger aus der Kreuzberger Hausbesetzer-Szene mit gesegneten Dreadlocks, da baut sich ein junges Ding vor mir auf. Es ist nicht nur jung, es ist auch bemerkenswert dick und trägt am Revers einen dieser runden Aufkleber, die an der Kasse bereitliegen und auf denen man den Namen seines Blogs eintragen kann, damit jeder anwesende Blogger auf Anhieb erkennt, mit welchem Blogger er es zu tun hat.

Im Laufe des Abends begegnen mir tatsächlich 20, 30 dieser Aufkleber, doch auf vielen lässt sich die Schrift kaum entziffern. Blogger neigen zur Sauklaue, sie sind es nicht gewohnt, mit der Hand zu schreiben, sie träufeln ihre Texte in die Netzhaut des PC wie Augenärzte in ihre Patienten.

Oder aber: die Aufkleber sind zwar soweit gut leserlich ausgefüllt, aber ich vergesse hinzugucken, kann auch passieren. Das Leben ist so eingerichtet, dass jederzeit alles passieren kann, auch wenn man mit dem Gros der Dinge nicht wirklich rechnet geschweigedenn einverstanden ist, weil es nicht wirklich in dein Konzept von Weiterleben passt.

Aber passieren tut es doch.

Ich bin nach der Lesung ein bisschen rumgelaufen, habe mich sozusagen persönlich bei Sofa und Irgendlink vorgestellt, zufälligerweise der erste Blogger, den ich jemals verlinkt habe und den ich heute noch gut finde. Ich finde unermüdliche Leute immer gut.

Das junge dicke Mädchen steht da und sagt keinen Ton. Ein Schulmädchen noch. Steht da wie abgeladen. Nur dass es sich selbst bei mir abgeladen hat, ein schweigender Jung-Trumm aus dem weiten Blogger-Universum. Sie schweigt mich an. Oder soll ich sagen uns? Zurück in Berlin steht schließlich neben mir. Doch sie hat nur Augen für mich.

Auch aus ihrem Aufkleber werde ich nicht recht schlau. Zwar ist die Web-Präsenz vorschriftsmäßig mit WWW und Doppelschrägstrich aufgeführt, doch die Schrift ist viel zu klein und krakelig. Selbst wenn ich mich runterbeugen würde, ich könnte es nicht entschlüsseln.

„Hallo“, haucht das Mädchen und reicht mir schüchtern die Hand.

„Hallo“, sag ich erleichtert.

Dann kommt nichts mehr.

„Ähm.. kennen wir uns..?“ nehme ich einen zweiten Anlauf.

„Nein, du kennst mich nicht.“

Zurück in Berlin kichert, nestelt an seinem Haar.

„Und deinen Blog, kenne ich den vielleicht..?“, frage ich und blicke auf ihren Button.

„Nein. Den kennst du nicht.“

Zurück in Berlin versucht zu helfen.

„Wie heißt dein Blog denn?“

„Du kennst ihn auch nicht.“

Sie ist unerschütterlich. Sie bügelt uns nach Strich und Faden ab, sie zeigt uns, wo der Hammer häng, sie hält wunderschön die Fresse. Ein Fels in der Aftershowparty einer Blogger-Lesung. Nur – was will sie? Was ist hier los?

Blogger aus dem ganzen Land sind gekommen. Trainer Baade aus Duisburg, Sophia mit ihrem umwerfenden Schwyzer-Dialekt und Irgendlink, Oliver Driesen, der Zeilenstürmer, Uwe von Spazierensehen.de sowie ein Unbekannter mit getönter Pilotenbrille, Axel Rose-Kopftuch und dem Geruch von Nasenbluten, den ich zweimal frage, wie sein Blog heißt, worauf er nur den Kopf schüttelt, nein nein, ich bin kein Blogger, ich hab mir den Button nur aus Spaß aufgesetzt, um euch Brüder und Schwestern in die Irre zu führen.

(Ich schlage ihm, sollte er jemals anfangen zu schreiben, Nasenbluten.de vor.)

Das Mädchen. Es ist jung, es ist nicht dünn und es steht vor mir, es bleibt einfach dastehen. Möchte es mir etwas sagen, von Bloggerin zu Blogger? Möchte es einen Ratschlag hören, möchte es Kritik loswerden? Möchte es mir etwas zustecken, ein Kassiber vielleicht?

Zurück in Berlin verdrückt sich an den Tisch, an dem er zuvor gesessen hat, bevor wir ins Gespräch kamen. Das Mädchen schaut an mir vorbei, als würde hinter mir die Sonne untergehen. Ich glaube, sie ist ein kleines bisschen enttäuscht von mir.

„Wow“, denke ich, drehe mich um und suche den Mitsubishi Boy.

*

Foto: Oliver Driesen, dessen neues Buch Schalttagskind im Februar 2018 erscheint.

13 Gedanken zu „Nach der Lesung

  1. Ja, ich erinnere mich. An die Lesung schon, nicht aber ans Gelesene. Nun gut.
    Danach habe ich noch mit Sofasophia und Irgendlink zusammen gesessen und getrunken. Die Schanze war brechend voll. Mit Dir habe ich leider kein Wort gewechselt. Machte aber nix. Ich habe es genossen. Allerdings war ich mir bei Deinem Auftritt nicht sicher, ob Du ihn genießen konntest. Ist ja auch sehr speziell, eine solche Übersetzung des Textes ins Stimmliche, in die Lautsphäre des Autors sozusagen. Liegt nicht jedem.
    Immerhin gab es keine Wespenattacken, keine Riesenhunde, die die Bühne stürmten, und auch die Lampe explodierte nicht – alles das kam schon mal bei Autorenlesungen vor 😉
    Schön, dass der längst vergangene Abend für Dich Anlass genug war, einen Text darüber zu schreiben. So merkte ich mal wieder, wie rasch die Zeit vergeht. Tempus fugit.
    Gruß Uwe

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