Die Hitze macht Insekten aus uns allen



 

Scheiß Hitze! Ich geh kaputt, ey! krächzt es von der Parkbank, als einem der beiden übriggebliebenen Trinker die Bierflasche in den Händen zerplatzt, bei laufendem Verzehr. Ein dumpfes blokkk!, schon ist die Pulle in drei, vier große Scherben zersprungen, die Plirre schäumt über.

„Ja wat is dat denn…?!“ meint der Trinker ratlos. Er schleckt seine Hand ab. „Wat.. is hier los? Hömma..“

Der Zechkumpan im Schatten weiß Bescheid.

„Physik, Bernhard. Dat is Physik. Musse dir so vorstellen, hörma.. dat is heiß inner Pulle, dat brodelt. Und dann – Boff!! Hier, so – bomms!

Bernhard holt die nächste Buddel Bier aus dem Rucksack, während sein Buddy mit offenen Sandalen auf dem Schaum herumtritt, als versuche er ein Feuerchen zu löschen. Ihr Schnapsladen brennt.

„Hier, so bomms! Hasse gesehen?!“

Hitzegelächter im Outback.

*

Mein Bruder, Spezialist für Solarsteuerung, hält sich zur Zeit in Kairo auf, um Sonne einzukochen. In riesigen Stromgläsern. Das ganze Wüstenlicht. Sein Arbeitsplatz ist ein riesiges Feld aus Sonnenkollektoren.

„Kairo ist schmutzig“, spricht er via Skype, „und kochend heiß.“

Noch heißer wird einem zumute, wenn man zwischen Hunderten von Spiegeln steht, die all diese Hitze noch potenzieren. Logisch, dass da schon mal ein Kollege verloren geht, da verdampft schon mal ein Mitarbeiter unter geklärten Umständen und auf dem Rückflug bleibt ein Sitz frei.

*

Wenn das so glutheiß ist bei Kairo, möchte ich mich nicht weiter beklagen an der Heimatfront. Obwohl es auch hier, nicht mal halb zehn, so drückend heiß ist, dass der Hund in den kühlenden Bach springt, um wie ein Schaufelbagger Wasser einzuspeisen in seinen darbenden Blutkreislauf.

„Da ist der Hitzepeter!“ stöhnen die Stadtmenschen. Die Hundstage. Der schwüle Geselle bringt die fiesen Gerüche. Sie treten aus unterirdischen Kanälen und Abflussrohren ans Tageslicht, sie werden aus Gullys gespült und belästigen uns – faulig stinkt es, nach Vergorenem, nach fiesem Fisch. Nach Hundekacke, da die Sonnenstrahlen besonders gern die auf Wegen rumliegenden Exkremente zum Köcheln bringen.

Alles steht still. Nichts rührt sich. Fliegen kleben mit Schweissfüßen an der Fensterscheibe und kommen nicht weg, sterben am Glas. In der Nacht verirrt sich ein einzelnes Glühwürmchen in mein Zimmer und steuert stur den leuchtenden PC-Bildschirm an: „Ein Nebenbuhler! Hat der ein schönes Leuchten drauf!“

Tagsüber ist man ja schon froh, wenn ein einzelner Windstoß, und sei er auch noch so winzig, hinter der nächsten Ecke lauert, und losmacht. Einem unters Hemd kriecht, in die Achselhöhlen. Selbst ein Platzregen bringt keine Linderung, da er sich noch während des Fallens erwärmt und als trübselig dampfende Pisse aufschlägt. Dann kommt er wieder aus der Kanalisation gekrochen, der Gestank benutzter Damenbinden, infektiösem Kinderdurchfall, Mauken.

„Ich habe gerade im Garten Mowgli gesehen, und die Schlange Kaa“, meint die Gräfin leise. „Oder ist das hier nicht das Dschungelbuch?“

*

Am späten Nachmittag lief ein Klatschmagazin im TV, in dem der irrlichternde Modegeschmack der Moderatorin das dringendste Problem darstellte, das grünliche Chiffonkleid verlieh ihren nackten Unterarmen etwas zutiefst Billiges. Zunächst mal jedenfalls, denn in der Mitte der Sendung wurde es dann wichtig. Der Schlaganfall war Thema des Tages.

„Das geht so schnell“, seufzte die Gräfin, „es reicht schon, wenn ein einziges Gefäß verstopft ist.“

Ich blickte zu ihr rüber.

„Ach du Scheiße“, stammelte ich. „Echt? Wusste ich nicht.“

Erst am Morgen hatte ich zufällig gelesen, was Wolfgang Niedecken von BAP über seinen Schlaganfall erzählt. Er saß daheim im Sessel, und mit einem Mal fiel seiner Frau auf, dass er anfing Blödsinn zu verzapfen. Ohne Zusammenhang, falsche Buchstaben, grober Stuss, er lallte. Sie wählte sofort den Notruf. Ohne groß abzuwarten. Es war genau diese schnelle Hilfe, die Niedecken die Gesundheit rettete.

„Wenn Blödsinnreden das Merkmal eines Schlaganfalls ist, wird das aber schwierig bei dir“, meint die Gräfin trocken. „Da bin ich ja alle naselang die eins eins null am wählen.“

*

„Nein, ich schaue nie über den Tellerrand“, beichtet er, „das ist mir zu gefährlich.“

*

Nicht mal eine lumpige Sekunde, nachdem ich in einem Good Will-Anfall den Tag für perfekt erklärt hatte, brach um mich herum die Hölle los.

„Das kann doch kein Zufall sein“, rief ich später, als alles vorbei war. „Das kann mir doch niemand erzählen, dass das noch irgendetwas mit Zufall zu tun hat!“

*

*

„Mann, ist das heiß.. Ich hör schon mein Herz wischen“, stöhnt sie.

Zu heiß zum Lachen reicht es bei mir nur zum Glucksen. Wir sitzen hinterm Haus. Es ist Nachmittag. Später Juli. Kein Wind haucht.

„Wusstest du, dass Bäume bei extremer Hitze ihre Blätter abwerfen?“

„Nee, wusst ich nicht. Warum?“

„Um sich zu schützen. Vor Austrocknung. Die Blätter sind für den Baum plötzlich nur noch lästige Mitsäufer, Konkurrenten ums Wasser.“

Tatsächlich war mir schon aufgefallen, dass überall Laub rumfliegt, wie im Herbst.

Sie fläzt sich im Bikini auf dem Liegestuhl, ich sitz unterm Essigbaum. Der steht in voller Montur da, wie rote Zündkerzen zeigen die Blüten in den knallblauen Himmel. (Gleich biegt Corradini um die Ecke, der Eiswagen, der sich auf Blauen Engel im Becher spezialisiert hat.) Biblische Ruhe. Das Gras, gestern erst gemäht, ist über Nacht zu Heu geworden. Der Holzzaun knackt.

Der Sommer, der nie endet, titelt der SPIEGEL.

Geradezu zornig, die Dauersonne, wie Diarrhoe. Und irgendwo anders auf der Welt bricht ein Tropensturm los. Eine Stadt säuft ab, höre ich in den Nachrichten. Das graue Regenwasser steht meterhoch in den Straßen, die Menschen fahren in Panikbooten herum und wissen nicht mehr wohin.

Katastrophen machen Insekten aus uns.

Und dann noch grillen!?

Ich beobachte eine Wespe, die im Schlepptau einer zweiten Wespe den schmalen Streifen Schatten entlangbalanciert, den unsere lange Wäscheleine auf der Wiese hinterlässt. Einen Versuch ist es wert, denke ich. Und drücke die Daumen. Dass die Hitzewelle nächste Woche endet. Am besten abrupt.

„Wassermelone..“, flehen die Nachbarskinder, die erstmals in den Sommerferien ihr Trampolin verlassen haben, ihre Stimmen werden schon schwächer, „Mamaa…! Bitte. Melone..“

Die Gräfin macht sich lang auf der Campingliege. Wie ein Skispinger nach dem Abheben vom Schanzentisch, die Arme angewinkelt, liegt sie regungslos auf dem Bauch. Als sie einschläft, zucken ihre Augenlider im Traum. Wie kleine Vögelchen, die nach innen schweben.

„Komm“, flüstere ich dem Hund zu, der mit mir träge am Essigbaum lehnt. In unregelmäßigen Abständen hört man seine Zunge ins Leere peitschen – ein dunkles Flappen. Er erhebt sich mühsam. Wir schlendern durch den Hinterhof und gucken uns die Unterhosen an, die andere Leute zum Trocknen raushängen, wobei die Shorts, die man an den Wäscheleinen sieht, nicht identisch sind mit den Boss-Limousinen aus der Werbung.

Auf der ganzen Welt wird es heißer, wie nach einem schweren Bedienungsfehler. Es brennt bei den Christen, es brennt bei den Muslimen, es brennt orthodox und in halb China. Seit Wochen ist es so heiß, als wäre die Sonne aufgeschnitten worden, als wäre Fieber und Glut ausgelaufen, Flammenstürme auf der Sonnenoberfläche. Ich höre mein Herz wischen.

Tagsüber die Bude verrammeln ist die Rettung.

*

Wir flüchten in die letzte Eckkneipe vorm großen Wald.

„Habt ihr Pils?“

„In Flaschen, Jung. Nich vom Fass“, sagt der Wirt.

„In Ordnung.“

Am Tresen ein Mann und eine Bekannte. Er ist Busfahrer bei der Rheinisch-Bergischen, erfahre ich, und sie heißt Sigrid.

„Komm ich morgens von der Nachtschicht nach Hause, will die mit mir tanzen“, schlägt er die Hände vors Gesicht.

Die Bekannte gluckst. „Mensch, Manni! Wie die Zeit vergeht! Vor zehn Jahren wärst du froh gewesen, hätte überhaupt einer auf dich gewartet! Und jetzt bist du am motzen, weil eine mit dir tanzen will!“

Er hört überhaupt nicht hin.

„Und dann steh ich im Badezimmer hinter ihr und sie macht sich die Haare schön, krieg ich das ganze Spray in die Fresse! Voll in die Augen!“

„Mensch, Mannii! Aahhaha!“

„Hier Jung, dein Pils“, sagt der Wirt zu mir. Er tätschelt den Hund, doch der duckt sich knurrend weg.

„Och, was is denn mit dem los?“

„Der ist Kommunist.“

„Ach so.“

„So, noch ein Bierchen, dann nach Hause, noch was tun“, meint Manni. „Was machen die Hühneraugen, Charlie?“

„Die wachsen und gedeihen“, antwortet der Wirt.

„Das kommt vom vielen Rumstehen“, meint Sigrid.

„Ach, Pflaster drauf und fertig!“ schreit Manni. Er wendet sich mir zu. „Also, ich hab noch nie Hühneraugen gehabt. Du?“

Als ich reingekommen bin, hab ich vorsorglich mein Notizbuch rausgeholt und auf den Tresen gelegt. Ich hab sofort gespürt, so was kann man sich nicht entgehen lassen. Der Wirt guckt auf meinen tänzelnden Stift, kümmert sich aber nicht weiter darum.

Manni sowieso nicht.

„Gute Schuhe sind das A und O. Am besten Leder. Ist doch egal, wie die aussehen. Was nützt mir ne schöne Jacke, und ich fühl mich nicht wohl darin, woll.“

Von der Hitze sind meine Hände so glitschig, mir springt der Kugelschreiber über den Tresen.
Wie beim Stabhochsprung.

„Huch!“ ruft Sigrid, Mannis Begleiterin, und bückt sich. „Hat noch zwei Wurf, der junge Mann!“

„Jo“, sag ich, „danke“, und nicke zum Pils hin. „Eins würd ich noch nehmen.“

„Mein Enkel ist zweieinhalb“, schreit Manni den Wirt an. Überhaupt Manni: er betreibt die Kneipenkommunikation wie Kreisverkehr. Jede Abfahrt ist mal dran. Jeder kriegt was ab.

„Dem Enkelchen hab ich gestern einen Osterhasen geschenkt. Da war nix mehr mit Fussballgucken. Glaub es mir. Da war Schluss. Aber ruckizucki.“

„Wieso, ist doch gar kein Ostern“, murmelt der Wirt beim Bierzapfen. Er hat Schwitzflecken unterm Arm, groß wie Suppenteller. Mit fett Suppe drin.

Manni winkt ab. „Hm, oh. Nee, Ostern nich.“

Der Wirt greift unter den Tresen, und wirft dem Hund ein Leckerchen rüber.

„Zu Hause unsere Nessy kann futtern, wie sie will. Die kann fressen wie ein Schwein, die wird nicht dick.“

Sigrid zündet sich eine Zigarette an. „Ja, das würd ich auch gern sagen können.“

„Ja, aber weisst du auch warum, Sigrid? Weil die soviel kläfft. Die Nessy kläfft sich die Kalorien wieder weg. Die ist clever.“

Manni wendet sich unterdessen mir zu, und wird schnell intim.

„Ich hab einen Neffen, hör mal, der ist am kiffen. Der fährt immer nach Holland. Da kauft der Hasch und verkauft es hier für fünf Euro. Ist das nicht gefährlich? Sag mal. Ist doch gefährlich, oder?!“

„Geht so“, sag ich. Meine Kugelschreibermine ist leer. Das Kölsch auch.

„Ich hab nur Pils“, meint der Wirt. „Zum Mitnehmen.“

„Ach so, ja. Ist gut.“

Es wird Zeit, diesem überhitzten Holzkorridor zu entfliehen. Ich zahle. Komm, sag ich zum Hund. Er kommt. Draußen pökelt die Sonne das Land, und ich verliebe mich kurzfristig in einen großen Mann mit Kugelbauch und Hosenträgern. Er lehnt an der Bushaltestelle, den Trenchcoat überm Arm geworfen. Wie überbacken steht er da und studiert den Fahrplan der Linie 698, Kannenhof.

„Puhh..“, stöhnt er.

12 Gedanken zu „Die Hitze macht Insekten aus uns allen

  1. Trenchcoat, der hat sich aus diesem Dingsfilm zu Euch verirrt.
    Text entlockte mir Lacher. Soller doch, oder?
    Trübheißlustig, kann man sagen.Frei Schnauze – wat macht man, wenn Kugelschreiber leer?
    Udo L. malt mit Likör.

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  2. Pool is cool, zumal im elterlichen Garten, dann gilt: Betreten für Unbefugte verboten! Den will ich nur für mich: Toter Mann mit Noodle!
    Aber leider, morgen geht’s zurück nach HaHa, wo schon die Fische in den Gewässern sterben. Dann bleibt nur die Hoffnung, dass es bald aus ist mit der Dauersonne. Wo nur ist er hin, der wechselhaft-laue Sommer vergangener Jahre. Aber eines ist gut an der Hitze: selbst die sonst unermüdlich Dauerbeschäftigten halten Füße und Hände still, bisweilen schweigen sie sogar. Das hilft über die trägen Tage hinweg , hinein in die heißen Nächte.

    Gruß, Uwe

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  3. ja das gute und bewärte Notizheft liegt öffentlich auf dem Tresen
    kein Diktirgerät zum glück –
    wo die meisten denn doch lieber verstummen.
    Leo sieht enspannt aus
    hübscher Kauer.
    kaltes Handtuch in Nacken ,kann ich nur empfehlen

    auf den Lannregen oh….

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  4. glumm hat es herauf beschworen diese stunden des brühwarmen Gedanken
    genau darum ist im Himmel kein platz frei-
    überlegt aber voll
    hihi…

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  5. Pingback: Proust lesen Tag 78-Guermantes-Doncieres – Familienbande

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