Es gibt Tage

Und dann gibt es Tage, da wird man morgens wach und möchte sich am liebsten auf der Stelle erschießen. Mit der Option, sich am nächsten Tag in alter Frische direkt noch mal ein Loch in den Schädel schlagen zu dürfen.

Dankesehr.

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Frau Molls hartnäckigster Verehrer Marley ist ein gestandener und immerzu schmutziger Deutsch Drahthaar, aber was für ein Gentleman. Nach dem Gassigehen begleitet er Frau Moll bis zur Haustüre und verabschiedet sich mit einem galanten Knurren. Manchmal putzt er ihr das Öhrchen oder heult ein kleines Wolfslied. Alles für unsere kleine Frau Moll. Als Gesellschaftsdame hat sie noch einige wenige Termine frei.

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Das Frauchen von Marley, Fan von Robbie Williams, ist Frisörin. Sie erzählt mir, dass man letztes Jahr ein Loch in ihrem Schädel entdeckte und fix abdichtete. Danach lag sie vier Wochen im Koma. Alle dachten, wenn sie wieder aus dem Koma erwacht, muss sie alles neu lernen. Nun ist sie schon ein Jahr aus der Klinik heraus, will aber nichts neu lernen.

„Bringt doch nichts“, sagt sie. „Ich bin ganz heiter. Ich ähm mein heiser. Mein Mann hat mir schon zwei Scharlach gegeben gegen die Heiserkeit. Nein – nicht Scharlach. Wie heisst das noch?“

Ich will ihr helfen, doch sie lässt mich nicht. Sie guckt weg.

„So Schnaps. Gegen meinen Kopfnebel. Zwei Stück oder zwei Glas. Nicht Scharlach. Cognac! Zwei Cognac. Mensch, hab ich Nebel im Kopf. So heiser.“

Ihr Deutsch Drahthaar hat jedes Mal einen neuen Namen, wenn wir uns begegnen. Marley hiess schon Angel und anders, zehn Mal anders. Als sein Frauchen davonwackelt, im kurzen Sommermäntelchen mitten im Februar, wie eine schwankende Fähre, die niemals einen Hafen findet, man hätte das Loch vielleicht drin lassen sollen.

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Zum Frisör gehts in die Cut Lounge. Halbe Stunde vor Feierabend. Die Chefin ist müde und übergibt mich in die Hände ihrer kroatischen Mitarbeiterin. Eine schweigsame kaugummikauende Person um die Dreißig, die irgendwann von der Chefin die Order bekam, während der Arbeit keine Kaugummis mehr zu kauen, weil die Deutschen das nicht gerne sähen, dass man ein Kaugummi im Mund hat während man arbeitet und Geld verdient, ihr Geld. Du darfst in Deutschland bei der Arbeit alles sein, sogar geil, aber nicht lässig.

Schade, ich hatte sie gerne kaugummikauend in meinem Rücken. Ab und an, wenn ich den Blick hob, sah ich im Spiegel, wenn ich Glück hatte, das Wrigleys im Mund aufblitzen wie ein weisses Komma.

Die Kroatin ist langsam, hypnotisch. Es dauert nicht lange und ich verfalle in eine Art Duldungsstarre, bei der die Augen geschlossen bleiben und ich nur noch das Klappern der Scherenblätter vernehme. Ein Klang, so weich und fern, als säße die Kroatin längst mit ihren Kolleginnen nebenan im Kabuff und schmiere sich ein Butterbrot mit gleichmäßigen rhythmischen Bewegungen, und keine zehn Minuten später taucht sie plötzlich wieder hinter mir auf, nimmt mir den Kittel ab und ich hab kurze Haare auf dem Kopf. Genial. Eine Zauberin.

Sie trägt einen weissen Rollkragenpullover.

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Hunde haben Prinzipien. Hunde leben von Ritualen. Na schön, Hunde leben von Futter, Wasser und Luft, logisch, aber Hunde lieben Rituale. Dinge, die sich immer und immer wiederholen, da stehen Hunde drauf. Ich bin ein Hund. Frau Moll ist ein Hund. Wir sind Hunde.

Befreundete Hunde.

Wenn ich mit Frau Moll die Abkürzung über den Friedhof nehme, muß sie ganz unbedingt aus einem der zahlreichen Brunnen saufen, ansonsten kann es passieren, dass sie ungemütlich wird. Da macht es auch nichts, dass wir erst ein paar Minuten draußen sind und sie eigentlich gar keinen Durst haben kann, aber darum geht es nicht.

Es geht darum, dass sie hier als Welpe an einem heißen Sommertag mal lecker Wasser gesoffen hat, also muss sie nun jedes Mal lecker Wasser saufen, wenn wir die Abkürzung über den Friedhof nehmen und einen der öffentlich zugänglichen Brunnen passieren. Ist doch logisch.

Wenn ich nun also den Wasserhahn aufdrehe, kommt die befreundete Hündin über die Gräber gesprungen, bohrt die Schnauze in den Wasserstrahl und beißt glücklich hinein, als wär’s eine Hendlpfanne aus dem Wienerwald.

4 Gedanken zu „Es gibt Tage

  1. deine shortcuts lesen sich fast wie lyrik.

    ich mag die bilder, collagen, die du da vor meinen augen entstehen lässt. und ich sehe frau molls wassertropfen an den schnauzhaaren im februarlicht glitzern, weil grad in dem moment die sonne durch die wolken zwinkert.

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  2. Pingback: Zitat des Tages: Erschießen › Dobschat

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