Als uns die Hütte unterm Hintern abfackelte – beinah

Es hat schon etwas von Dauercamping, unser Quartier am Alten Kannenhof. Wer die von jeder Menge Grün umgebene Siedlung anfährt, es geht steil die Sackgasse runter, der wartet förmlich darauf, dass auf den großzügigen Rasenflächen Wohnmobile und Lord Münsterland-Caravans einparken und lässig den Stecker anschließen. Oder dass nebenan jemand, der warm angezogen ist, sein Campingstühlchen rausstellt und nach dem rechten schaut.

Und immerzu ist irgendwo improvisieren angesagt. Da wäre etwa die Tür zu meinem Zimmer. Die ist seit 1996 kaputt. Irgendwer in dieser Bude geriet in Wut und hat die Tür damals so fest zugeknallt, dass die obere Türangel herausbrach. Seitdem steht die Zimmertür sperrangelweit offen – seit 23 Jahren. Eine lange Zeit, und eine laute Zeit. Will man unter diesen Voraussetzungen einfach mal seine Ruhe haben, heißt es improvisieren. Das Zimmer wechseln, irgendwohin gehen, wo die Türen noch in Ordnung sind. Natürlich. Kann man machen. Macht man auch. Aber man könnte die Tür ja auch reparieren lassen. Oder eine neue einsetzen.

Oder auch nicht.

Weil nämlich das geliebte Improvisieren flachfällt, wenn alles wieder in Ordnung ist, wenn die Dinge wieder störungsfrei ablaufen. Und wer will das schon. Das ist wie vom Urlaub erzählen. Niemand will hören, dass man drei Wochen super Wetter hatte und diese Bilderbuchlaune, für die Facebook und Instagram erfunden wurde, das interessiert keine Sau. Aber eine kaputte Hotelzimmertür, die drei Wochen lang so gequietscht hat, dass die Ehefrau am vorletzten Tag dem Betreuer des renommierten Reiseveranstalters die Fresse polierte, dafür gibt’s reichlich Beifall.

Improvisieren ist die Brücke zur Erkenntnis: ach so geht das! Und manchmal macht es einfach nur Spaß. Der Bruder vom dicken Hansen, der in den 90ern in Havanna lebte und Musik studierte, besucht uns nicht umsonst immer dann, wenn ihn das Heimweh nach Kuba packt. Sobald er die Schwelle zu unserer Bude überschreitet, beginnt er sich zu entspannen und Spanisch zu quasseln. Manchmal pfeift er auch gutgelaunt den Chicas hinterher. Oder er bastelt in Windeseile aus dem Verschluss einer Zahnpastatube und einer Lüsterklemme eine provisorische Türschelle, weil unsere kaputt ist und wir mit meiner desolaten Zimmertür schon genug um die Ohren haben.

Und als vor kurzem ein alter Bekannter, der als Maler und Anstreicher arbeitet, auf einen Sprung reinkam, (er hatte gerade zufällig in der Nähe zu tun), da staunte er nicht schlecht beim Anblick der Wandfliesen in unserem Bad: „Jessas!!! So was hab ich das letzte Mal 1980 in Moskau gesehen!“

Und er war noch nie in Moskau.

Oder hier, die rote Jalousie an meinem Fenster, die schließt ebenfalls nicht richtig. Wenn also ab Mittag die Sonne hoch oben am Himmel steht, muss ich jedes Mal ein Schatten spendendes Geschirrtuch zwischen die verstaubten Lamellen klemmen, um auf meinem Schreibtisch noch arbeiten zu können. Da nun aber die Sonne zum Wandern neigt wie das Weib zum (Türen-)Knallen, muss ich das Tuch alle zwanzig Minuten ein Stück weiterhängen, bis die Sonne endlich untergegangen ist und ich meine Ruhe habe am Monitor.

Dauercamping also. Provisorien, wohin man blickt.

Donnerstagabend.

Ich kam gegen halb sechs aus dem Institut und hockte mich erstmal schön gemütlich aufs Klo, als die Gräfin, die in meinem Zimmer das Abendbrot vorbereitete, nach mir rief. Da sie das öfter tut, nahm ich ihre Proklamation zunächst nicht so ernst. (Etwa, wenn sie plötzlich von dem Gefühl überrollt wird, die Welt drehe sich JETZT GERADE einen winzigen Moment zu schnell, das müsse ich mir UNBEDINGT AM FENSTER ansehen, UND ZWAR SOFORT! dieses winzige Drehmoment! „guck doch mal, wie das flitzt!“)

Aber schon ihre zweite Aufforderung, JETZT KOMM ENDLICH! SCHNELL!!, verriet Panik. Ich zog die Hose hoch, öffnete die Badezimmertür, und noch bevor ich einen Schritt in mein Zimmer machte, sah ich schon die Bescherung. Das rote Puschelzeugs, das einmal ein Grabgesteck gewesen war und aus dem die Gräfin einen provisorischen Lampenschirm gefertigt hatte, stand lichterloh in Flammen, über dem Abendbrottisch!

„MACH DOCH WAS!“

Ich stand im Flur, „Ach, du Scheiße..!“ und hatte keine Ahnung, was zu tun war. Es war wie im Spielfilm. Die Flamme loderte bis zur Decke hinauf!

„TU DOCH WAS!!“

„WAS DENN, VERDAMMT?“

Ich meine, hinter jeder richtig getroffenen Entscheidung lauern bekanntlich sechzig falsche, die nur darauf warten, zum Einsatz zu kommen. Die nur darauf brennen, sozusagen. Und bevor ich nun etwas falsches tat, tat ich lieber erstmal nichts und verfolgte staunend das Spektakel. Die Bescherung. Die Gräfin schien ähnlich gepolt zu denken. Zwei strammen Existentialisten gleich standen wir um das brennende Bouquet aus roter Holzwolle herum und hörten es knistern.

„Das stinkt nach Heu!“ rief sie, und auch ich fühlte irgendwie mich an ein Kartoffelfeuer in meiner Kindheit an der Hasseldelle erinnert.

„WIE IST DAS ÜBERHAUPT PASSIERT?“

„IST DOCH EGAL! MIT NER KERZE! ICH HAB NE KERZE AUF DEM TISCH ANGEMACHT UND NICHT AUFGEPASST!! HOL EIN HANDTUCH!“

„EIN HANDTUCH??“

„JA! EIN HANDTUCH!“

Sie lief um den kleinen Tisch herum, der unter dem brennenden Grabgesteck stand und auf dem wir zu Abend essen wollten, und versuchte, die Funken von der Butter zu pusten: PFFF! PFFF! PFFF!!,, während ich in die Küche rannte. War ja nicht weit. Um die Ecke, dann links. Ich stand ratlos vor den Abtrockentüchern, die nebeneinander aufgereiht vor mir am Haken hingen.

„WAS DENN FÜR EIN HANDTUCH..?! EIN DICKES..? ODER REICHT SO EIN ABTROCKENTUCH HIER!?“

In diesem Augenblick, als ich mir so zuhörte, als meine Worte in mir nachklangen, während unsere Wohnung in Begriff war abzufackeln, in diesem Augenblick war ich fast ein bisschen empört von mir selbst. Dass ich immer so verdammt planlos war, wenn es drauf ankam. Dass ich kein Feuerwehrmann war. Nicht mal ein Rettungsassistent. Oder wenigstens ein Mensch mit dem Willen zum Überleben.

„IST DOCH EGAL! MACH HIN!!“

Dass ich wie immer nur Zuschauer war.

(Wer noch nie ein Feuer live in der eigenen Wohnung erlebt hat: Es sind ja keine wirklichen Gedanken, die einem in diesem Moment durch den Kopf wirbeln. Es gleicht eher beleuchteten Werbetafeln, die nacheinander im Hirn aufblenden, wie bei einer Autobahnfahrt durch die Vogesen bei Nacht. Man hat kaum Zeit, die Reklame wahrzunehmen… schon ist sie aus dem Blickfeld.)

Sollte ich vielleicht Wasser holen und übers Feuer kippen? Übers brennende Bouquet?? Aber da war doch elektrisches Licht drunter! Die Lampe mit der Energiesparbirne! War die überhaupt an?? Oder sollte ich lieber eine Bettdecke übers Feuer werfen, um die Flammen zu ersticken? Aber wie zum Henker sollte man eine Decke über eine Lampe werfen, die von der Decke hing und deren Lampenschirm brannte? Die hing ja mitten in der Luft, die scheiß Lampe! Mit einem Kabel verbunden! Da kriegte man doch keine Decke drübergeworfen!

Und die ganze Zeit loderten die Puscheln fröhlich weiter. Die Flocken tanzten überm Abendbrottisch und landeten als verrußte Fetzen in der offenen Butterdose. Sie landeten auf den Bio-Tomaten, auf der offenen Zuckerdose und der Remoulade.

(Sie schmierte ihr Brot ja neuerdings mit würziger Remoulade statt mit Butter. Überhaupt, Gewürze waren ihr akutes Thema. Sie war überzeugt, Gott habe einen ganz besonders guten Tag erwischt, damals, als er die Gewürze erfand, so nach dem Motto: „Heute erfinde ich mal etwas, das noch nie jemand erfunden hat!“ Und was war das erste Gewürz der Geschichte, laut Gräfin?

Ta, Ta!!!

„Kümmel!“

Und plötzlich – war der Spuk zu Ende. Von einer Sekunde auf die andere. Das umgebaute rote Grabgesteck, das immerhin vier Jahre jeder Kerze getrotzt hatte, die unter ihr auf dem Tisch gestanden und vor sich hingekokelt hatte, war bis aufs nackte, noch glühende Drahtgeflecht runtergebrannt. Die ummantelten Kabelstränge glotzten uns total veschmort an. Es stank nach Heu, sie hatte Recht..

Ich wollte den Lichtschalter anknipsen, um zu prüfen, ob die neue Energiesparbirne vielleicht noch funktionierte, da schrie die Gräfin:

„KEIN LICHT! MACH DAS NICHT AN!“

„Wieso..?“

„IST DOCH ELEKTRISCH!“

Ach so.

Der Hund, der sich während des Feuers genervt davongeschlichen hatte, weil er mit dem ganzen Schadensfall nicht zu tun haben wollte, kam vorsichtig schnuppernd zurück und ließ sich seufzend unterm Tisch nieder. Können wir dann langsam mal zu Abend essen?? sagte sein Blick.

Und just in den Moment, als sich so etwas wie Ruhe und Aufatmen in der Wohnung breitmachte, genau da sprangen die beiden vor kurzem unter der Decke installierten Feuermelder an, ein mächtiger, geradezu hysterisch anmutender Alarm.

„Haltet bloß die Fresse!!“ schrie ich.

 

 

10 Gedanken zu „Als uns die Hütte unterm Hintern abfackelte – beinah

  1. Provisorien kenn‘ ich und halt‘ ich in Ehren. Lieber verkommen als vollkommen – wohnen. Die Herzensdame sieht das anders, ändert aber selbst nix an den haushaltlichen Dilemmata. So üben wir uns in Rede und Gegenrede und haben uns danach immer lieb – auch und gerade wegen unserer Mängel. Ach, wegen mir könnte das ewig so weitergehen, vielleicht sogar noch länger. Es lebe das Privisorium. Nichts hält länger. Und es rettet womöglich Ehen. Obwohl, es gibt wahrscheinlich auch Gegenbeispiele. Man muss halt wohlwollend genügsam die Marotten des jeweils anderen dulden, nein: bewirtschaften. Bisweilen entstehen daraus sogar Texte über nichts oder fast nichts. Das sind manchmal die besten. Gruß Uwe

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  2. der Ralle war immer ein Macher was ich ihm zunächst nicht zugetraut habe,als er mir mal aus der Patsche half
    wo wir eine kleine Crashlanding hatten mit meinem altenCitroen der nun noch verbeulter und mit Plattfuss soeben noch das Getaway erreichte,ich stand noch unter Schock , er wechselte das Rad und ich bin ihm bis heute dankbar

    bei Grabgesteck bin ich immer vorsichtig
    obwohl es nur darum liegt auf einen Haufen zusammengeworfen
    auch mir Kugeln für Tannenbäume

    NEE,ne was ich sagen wollte das mit der Tür hab ich auch schon länger..hihi
    schönes Kino.

    sauber!

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  3. Ich hab mal meinen Vater besucht und bin dann abends in mein altes Zimmer, um zu pennen. Ich setz mich an den Schreibtisch, um noch in Ruhe eine zu rauchen. Da geht plötzlich ein Höllenlärm los. Fliegeralarm! Die Russen kommen!! Ich drehe mich in alle Richtungen, aber ich kapier nicht, wo das herkommt. Dann habe ich den Feuermelder, den mein Vater an die Decke montiert hatte, endlich entdeckt. Mit bloßen Händen habe ich das Scheißteil aus der Verankerung gerissen und weggeschmissen. Bis heute ist kein neuer Feuermelder angebracht worden.

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  4. Kinder, es gibt einen bekannten Universalreiseführer, der gebetsmühlenartig betont, wie wichtig es sei, ständig ein Handtuch mit sich zu führen. Ständig. Warum hält sich die Menschheit nie dran?

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  5. Ganz großes Kino. Und ein ganz kleines Déja-vu. Hat es nicht schon mal gebrannt oder so was ähnlich Dramatisches? (Oder ist das diese Geschichte, neu erzählt? Was aber egal ist. Deine Texte sind eh zum Mehrmalslesen.)

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  6. mein Abend ist gerettet, ich sitze und gickere immer noch vor mich hin. Provisorien kene ich gut, die Türrahmen meiner Eltern bleiben bis zu Tod und Hausverkauf baustellen-mettallschutzanstrich-dunkelgrün. Meine fliegende Untertasse, pardon Papierlampe, hängt bis heute schief unter ihrem anschlusskabelverdeckenden Joghurtbecher. Lebt sich entspannt. Giggel. Mensch, sei nicht so albern. Pfft.

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