Sofortige Wiederbelebung durch Kunst

Zum Frühstück gab es starken Espresso und aufgebackene französische Tänzerinnen, deren lange Schochen über den Tellerrand krümelten, Schoko-Croissants. Es war Wochenende. Sogar ein Ei wurde gekocht, fünf Minuten lang, und das Fenster zum Hof stand weit offen.

Tinck! tinck! tinck!

„Was ist das denn? Ein Specht?“

„Ein Specht..? Dann hat er sich aber in eine Blechbüchse verirrt. Oder er ist an ein Echolot angeschlossen“, vermutete die Gräfin gutgelaunt. „Ich mein, die Vögel versuchen ja alles heutzutage, um groß rauszukommen.“

Sie war ausgeschlafen, sie war ein forsches Ideen-Büro, das Sonntags geöffnet hatte. Sie plante einen Kunst-Notfall-Service für Leute, die- es nötig hatten. Auch der Slogan stand schon fest:

SOFORTIGE WIEDERBELEBUNG DURCH KUNST.

„Wenn die Leute mal wieder pappsatt sind von all der süffisanten Champagner-Kacke, die überall gequasselt wird, wenn sie einfach nicht mehr weiter wissen am Wochenende, dann komm ich mit meinem Köfferchen angerauscht und pack die blaue Farbe aus.“

„Oh. Das gibt aber ein sehr umfassendes Bild.“

„Ja, ein Riesending! Genau! Das muss so blau sein, dass die Leute denken, oha! das ist mir aber plötzlich zu viel blau auf einem Haufen!“

Ich schwieg.

„Was ist?“ sagte sie. „Gefällt dir nicht?“

„Mh, na sicher“, murmelte ich. Natürlich gefiel es mir. Blau war immer gut. Aber ich war ja noch gar nicht richtig wach. Wachwerden war Sache meiner inneren Uhr. Da mischte ich mich nicht ein. Gewisse Dinge musste man delegieren können, zum Beispiel Wachwerden, und dann, im richtigen Moment, dazustoßen und die Führung übernehmen. Wenn man wach ist.

Ich war noch nicht richtig wach. Ich sah Gebäck auf meinem Teller, das flatterte. Das war ein Traum. Oder nicht?

„Wenn du gleich wach bist und wir gehen mit dem Hund raus, nehmen wir besser den Schirm mit, es fängt schon an zu nieseln“, meinte sie wie nebenbei und nahm einen Schluck Kaffee. Das wunderte mich (und schien nur ein weiterer Beleg dafür zu sein, dass ich träumte), schliesslich stellten Schirme für sie sonst nur Gerätschaften für Naturversager dar, die sich schon vor ein bisschen Regen in die Hose machten und dann waren die Leute überall nass, auch untenrum, die Versager.

Im Haus nebenan war eine Familie zugezogen, mit einer schneeweissen jungen Katze. Sie hatte ihre Scheu abgelegt und erforschte nun die Gärten im Hinterhof, ein ziemlicher Brocken, der irgendwie nicht in die Landschaft passte. Eher auf die Fensterbank. Zwischen Nippesfiguren und Heideröschen. Und wenn Frauchen von der Arbeit kam, verfing der Brocken sich beim Pfötchengeben in der weissen Übergardine und flog aufs Maul.

„Vertu dich da mal nicht. Wenn die sich erst mal eingewöhnt hat, wird sie hier der Platzhirsch. Ausserdem, Katzen landen immer auf den Beinen, nicht auf dem Maul.“

„Ja, das hat meine Mutter auch ständig gesagt, früher“, sagte ich. „Dass ich wie eine Katze wäre, die immer auf die Beine fällt.“

Der Regen nahm an Fahrt zu. Als wollte er Ärger machen. Sich in die Sonntage einmischen.

„Ich denk, deine Mutter hat früher gesagt, du wärst wie ein Fisch, den man nicht richtig zu packen kriegt, der einem immer aus der Hand flutscht..“

„Ja, das auch. Sie hat so einiges gesagt.“

„Und was ist nun richtig? Beides wahrscheinlich, oder?“

Genau. Mal Katze und mal Fisch, war ich Meister im Überleben. Ein Cat-Fish. Selbst Elvis hatte davon gesungen, als es mich noch gar nicht gab, 1958 in King Creole. „Jumpin‘ like a cat-fish on the pole..“

„Ich finde, du bist eher ein Krokodil“, sagte die Gräfin. „Wie die durchs Wasser schleichen, ein Auge überm Wasser, da muss ich immer an dich denken. Krokodile haben etwas Tröstliches an sich. Sie strömen Ewigkeit aus, weil es sie schon so lange gibt.“

Ich stand am Fenster und zündete mir eine Zigarette an.

„Sag mal, ist das eigentlich ne Katze oder ein Kater?“

„Ne Katze.“

„Dann wird sie ja ein Platz-Reh, und kein Platzhirsch.“

Während sie mich mitleidig anguckte, „du Korinthenkacker warst auch schon mal witziger“, verfolgte ich das stämmige weisse Tier. Es streunte um den alten Sandkasten herum, der mit einer Holzplatte abgedeckt war und mit der Zeit zugewachsen war. Sogar ein kleiner Brombeerstrauch zeigte erste Früchte.

Vor dem Gartenhäuschen, das ein Nachbar zur Oldie-Station umfunktioniert hatte, streckte Nachbarshündin Bailey alle viere von sich und schlief. Sie hatte Gesäugekrebs. Frühzeitig erkannt, hatte der Tierarzt die Knoten zwar entfernen können, aber nun war Bailey sehr müde. Die Rottweilerhündin war alt. Die Katze schlich um sie herum, beachtete sie aber nicht weiter.

„Aber warum sollte ausgerechnet diese Katze hier Platzhirsch werden?“ meinte ich. „Hier gibts doch ne Menge anderer Katzen..“
„Ja, schon.“ Die Gräfin stand auf. „Aber wie sie sich bewegt, wie aggressiv, fordernd. Die ist sogar auf Schäferhunde losgegangen, da, wo die vorher gewohnt haben. Hat mir das Frauchen erzählt.“
„Das Frauchen? Die.. äh, wie heisst sie noch mal..“
„Putzi.“
„Putzi?“
„Nee, nicht die Frau. Die Katze. Die heisst Putzi.“
„Und die Frau?“
„Weiss ich doch nicht. Opitz oder so. Frau Opitz. Keine Ahnung.“

Als der Specht seine Trommel wieder anschmiss, tinck! tinck! tinck!, beendeten wir das Sonntagsfrühstück, legten Frau Moll das Halsband um und absolvierten die große Runde, über die Felder zur alten Papiermühle runter, und wieder zurück. Den roten Industrie-Schirm liessen wir daheim. Es hatte aufgehört zu regnen, wäre ja Blödsinn gewesen, ihn mituzunehmen. Was für Naturversager.

Kaum waren wir so weit von daheim entfernt, dass es sich nicht mehr lohnte, mal eben umzukehren und den Schirm zu holen, kam ein Platzregen runter, wie eine Geburt, gewalttätig, weihevoll. Kunst. Der hübschen Notfallseelsorgerin an meiner Seite machte es nichts aus, sie tanzte und flatterte. Das war ganz nach ihrem Geschmack.
„Guck mal, der Himmel! Er spuckt mir auf den Mundl! Wie ein nasser Zungenkuss ist das, ein Zungenkuss vom lieben Gott!“

Ihr neuer Traum-Service hatte eine Chance verdient.

Parisienne, Susanne Eggert, 2008

 

15 Gedanken zu „Sofortige Wiederbelebung durch Kunst

  1. zunächst bin ich beruhigt berüchtig und denn zufrieden ..
    das klingt ganz nach meinem geschmack
    eine wohltat dem klang ,der ausgesprochen sagenhaften kunst sich zu verlieben
    das haut mich vom hocker,mein ich ganz ehrlich..
    wo hast du das nur geerbt …weltklasse..llg kurt

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  2. jo ,hatte ich oder ligt die noch im schrank
    muss die tage mal durchforsten..sowas geb ich nich ab…das erinnert bisschen spacelied mit sound allem so …fast neuartig bis heute gebliben….

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  3. @kurt:

    Das Geheimnis: man muss beim Schreiben etwas erhöht sitzen,
    wie auf Zehenspitzen,
    dann liest sich das später auch so
    (ähnlich). Wie von oben betrachtet,
    aus der Vogel paradies perspektive.

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  4. Pingback: TTmtW | blog.tetti.de

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