Wenn das Herz zusammenkracht

Hey, du bist nicht krank, sagt sie. Du bist gerettet worden! Eine tolle Sache!

*

Gerettet worden..? Ich hab schlechte Laune, und wenn ich schlechte Laune hab, ist mir alles zu viel. Noch die geringste Anforderung nervt.

– Die Leute werden lästig -, sag ich.

– Welche Leute? –

– Na, die hier. Schreiben Emails und Kommentare, rufen an, quasseln die Mailbox voll.. –

– Bist du doof? Die wollen wissen, wie es dir geht. Die machen sich Sorgen.  –

– Aber ich hab doch geschrieben, was passiert ist. Wie es mir geht. –

– Du meinst diesen einen Eintrag? –

– Ja. –

– Also, wenn man das liest, könnte man fast auf die Idee kommen, dir gehts nicht besonders. –

– Stimmt ja auch. Ich hab zu nichts Lust. Nicht mal zu schreiben. –

– Du brauchst doch nur kurz zu bloggen, hallo, ich lebe noch, aber ich brauche ne Pause. Ich komm wieder. Das reicht doch. Keiner erwartet eine grosse Geschichte.. –

– Ich hab keine Lust. –

– Ja. Das hast du bereits gesagt. –

Ich werd bockig.

– Ich kenn die Leute doch gar nicht. Das sind doch keine Kumpel wie Karlos oder Schnaat… –

– Natürlich kennst du die Leute nicht. Aber die Leute kennen dich. –

– Die kennen mich? –

– Natürlich. Die lesen dich doch. –

– Ach so.. ja. (Ich bin plötzlich gerührt.) Stimmt.. –

– Also, antworte den Leuten ruhig mal. Muss ja nichts großes sein. Das erwartet auch niemand. –

– Gut. Ja. –

*

Schon als Kind hab ich mich stets zurückgezogen, wenn ich Fieber hatte und krank wurde. Ich bin dann immer ganz still geworden und hab mich im Bett verkrochen, in die hinterste Ecke. Selbst aufs Klo gehen war mir lästig, ich hab so lang angesammelt, bis ich fast platzte.

*

Hab seit fünf Wochen nicht geraucht, und was passiert? Ich nehme zehn Pfund ab. Normalerweise wächst Rauchern eine englische Drops-Plauze, wenn sie das Rauchen aufgeben. Eine de Beukelaer-Zone.

Obwohl, dass ich überhaupt keine Zigarette angepackt habe, das stimmt ja auch nicht.

Als ich noch im Klinikum war, die Station aber schon verlassen durfte, hab ich mir draussen eine Kippe geschnorrt, aber nicht angezündet. Nur in den Mund geschoben. Wie Lucky Luke, bei dem qualmts auch nie. Der hat nur einen Stummel im Mund. So bin ich runter zur Ambulanz, weil da gerade ein Rettungswagen um die Ecke bog.

Seit ich selbst in so einem großen roten Kasten durch die Strassen geflogen bin, höre ich anders hin, wenn eine Sirene sich nähert. Als wären die vielen Male zuvor bloß Staffage gewesen, jahrelanger Probealarm. Seit dem Herzinfarkt liege ich in jedem gottverdammten Ambulanzwagen, der durch die Strassen tobt. Seit mir das Leben gerettet wurde, wird mir jedes Mal das Leben gerettet. Auch wenn jemand anderes hinten drin liegt: Ich bin das.

Ich stand also unten an der Ambulanz, die Kippe lässig im Mund wie Lucky Luke, und schaute zu, wie die Türe des Rettungswagen sich öffnete und ein Mensch auf einer Bahre herausgeschaufelt wurde. Ich konnte nicht erkennen, ob der Mensch verunfallt war, ob es ein blutender, ein hustender Mensch war oder mehr ein verinnerlichter. Schlaganfall, und so.

Keine acht Tage zuvor war ich an gleicher Stelle eingeliefert worden, länger war das noch nicht her, doch jetzt, wo ich mir das routinierte Spektakel anschaute, fühlte ich nichts, gar nichts, nur das Brennen der heissen Nachmittagssonne im Nacken.

„Haben Sie Feuer?“ fragte ich eine Raucherin, die mit zwei anderen Raucherinnen zusammenstand. Sie zündete mir die geschnorrte Zigarette an, ich nahm drei hektische Züge und trat die scheiß Kippe auf dem Betonboden aus.

Schluss jetzt.

*

Sie rauschen in ein energetisches Loch, so stand es geschrieben.

Das waren genau die Worte, die Sanne einen Tag vor meinem Infarkt aus dem Wochenhoroskop vorlas, aus unserem Wochenhoroskop, wir sind schliesslich unter ein und demselben Sternzeichen geboren, Jungfrau, aber es gibt Worte, auf die reagiere ich nicht, die rauschen an mir vorbei, als wären sie niemals gesprochen worden.

Nicht in meinem Beisein.

Worte wie energetisch oder „Kohlenstoffwelt“, oder wie PARAMETER. Kotzworte, mickriger Füllstoff, auf den die Leute auch noch stolz sind, wenn es aus ihren Mäulern kraucht. Modebuchstaben mit eingebautem Ausrufzeichen, Angeberworte. Aber nicht die Art Angeberworte, die man aus einem offenen Karman Ghia aufschnappt, der bei Schneetreiben an der roten Ampel steht, nichts imposantes, nichts witzig-krachledernes, bloß plumpes Aufplustern. Aber was juckt mich das noch. Jetzt, wo mir das Herz zusammengekracht ist. An einem Donnerstag im Mai. Halb elf am Vormittag.

Juckt mich das alles nur noch am Rande.

Denn plötzlich kracht mir das Herz jeden Vormittag zusammen. Immer, wenn der Uhrzeiger auf halb elf vorrückt. Spätestens 10 Punkt 40. Zieht es im Herzen. Durchzug, Kammerflimmern.

Panikattacken.

– IST DER HERR PANIK-ATTACHÉ ZU SPRECHEN?! –

– NEE, DER IST SCHON WEG! IST SCHON GEFLÜCHTET! –

Nicht, dass ich darauf hinzielte, dass ich mir Panik wünschte, natürlich nicht. Nein. Es passiert einfach. Jeden verfluchten Vormittag, an dem ich mein Zuhause verlasse, verlassen muss, kommt das Trauma über mich als eine Reihe schwerer Körpertreffer: wie an dem Tag, als ich am Fronhof langsam zu Boden ging und niemand war da, der mich anzählte. Kein Ringrichter, der so was kommen gesehen hätte. Kein Trainer mit weissem Handtuch in der Hinterhand. Niemand war da. Nur ich und mein Hund und ein paar Menschen, die nicht darauf vorbereitet waren, einem Mann gegenüberzustehen, dem, käsebleich und schwitzend, gleich das Herz zusammenkracht. Wie auf einem Schrottplatz.

(Die Retter kamen später. Die Retter kommen immer später. Man liebt die Retter dafür, dass sie später kommen.)

*

Intensivstation, 13 Uhr 30.

Vor anderthalb Jahren lag mein Vater auf der Intensivstation, mit einem schweremn Herzinfarkt, und ich schrieb: Auf der Intensivstation liegen Männer und Frauen Bett an Bett, es wird kein Unterschied gemacht zwischen Männern und Frauen, es gibt nur einen Unterschied auf der Intensivstation, das ist der Unterschied zwischen Leben und Tod.

Einige Monate später starb meine Mutter auf der Intensivstation an einem Herzanfall, und jetzt lieg ich selbst mit einem Infarkt auf der Intensivstation, höre das Auf und Ab der Beatmungsschläuche, die meine Nachbarin mit Atemluft versorgen.

Ich weiss nicht, wie die Frau aussieht, die keine drei Meter von mir entfernt mit dem Tode ringt. Ein weisser Rollverhang verstellt den Blick auf ihr Bett, nur gelegentlich, wenn ich mich ein Stück aufrichte, sehe ich ihre Füße am Bettende, nackig, reglos.

Ich höre die Gespräche der Schwestern, wenn sie die unbekannte Nachbarin umbetten, wenn sie einen neuen Verband anlegen müssen, oder wenn irgendetwas geswitcht wird.

„Nicht erschrecken, liebe Frau Meyer, wir switchen Sie jetzt.“

Was wird denn da geswitcht? wollte ich die Schwester noch gefragt haben, aber dann hab ichs vergessen.

Krankenschwestern auf der Intensivstation sind bemerkenswert zuvorkommend, fast warmherzig, geschult vom Elend, vielleicht, keine Ahnung. Schwester Simone wohnt übrigens am Kannenhof, ein paar Blocks nur entfernt. Sie ist es auch, die mir am zweiten Tag den einzigen TV-Apparat der ganzen Station ans Bett rollt, damit ich das Pokalfinale sehen kann.

Die meisten Patienten gucken hier sonst kein Fernsehen, kichert sie.

Schwester, sag ich, was ist mit der Frau neben mir los?

Ich erfahre, dass sie schwer lungenkrank ist und tags zuvor einen Luftröhrenschnitt erhalten hat, ansonsten aber austherapiert ist.

„So liebe Frau Meyer, nicht erschrecken, wir müssen nur kurz die Beatmungsschläuche tauschen.“

Es sei unklar, so Schwester Simone, ob die arme Frau überhaupt noch etwas mitkriegt.

Ja, ist sie denn im Koma?

„So ähnlich“, sagt sie ausweichend.

Die Schwestern sprechen dennoch mit der Patientin, als verstünde sie jedes Wort, als ich Samstagmorgen, halb im Bett liegend, halb sitzend, in Zeitlupe Kaffee und ein Brötchen mit Marmelade frühstücke. Ich trage ein weisses Plastikbändchen am Handgelenk mit Namen, Geburtsdatum und Fallnummer, sowie ein frisches hellblaues Engelshemdchen am Leib, hinten offen, die Arschbacken frei.

Können Sie mir das mal zubinden, Schwester?

Die ständige Alarmbereitschaft der Apparaturen rund um mein verkabeltes Bett, medizinische Hochleistungsapparate, die LIFE VIEW heissen und INTELLI-VIEW und an Baywatch erinnern, an braungebrannte Rettungsschwimmer, jederzeit bereit, ein absaufendes nölendes Herz aus den Fluten zu heben, einen Schlaganfall zu glätten, komm her, du! Falscher Hase! Wir retten dich.

Wir betten dich um.

*

Seit der Lucky Luke Kippe gönnte ich mir noch zwei weitere Zigaretten, hab an beiden aber nur ein Mal gezogen. Macht insgesamt fünf Lungenzüge in fünf Wochen, bei fünf Kilo Verlust an Bauch, macht pro Zug ein Kilogramm weniger. Das ist doch kein richtiges Rauchen mehr. Kein heiliger Akt, keine Medicine. Nein, vorbei. Künftig heisst es, wie es schon mal geheissen hat, damals, als wir uns kennenlernten,

Erprobung herzstärkender Mittel.

Thomas Kling, Eremitenpresse, 1985.

*

„Da sind Sie dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen“, so Schwester Simone beim Anlegen der bunten Krokodilsklemmen. Sie will ein EKG anfertigen. „Das war sozusagen Rettung in allerhöchster Not.“

Tatsächlich war eine der drei Hauptarterien, die das Herz mit Blut versorgen, schon seit geraumer Zeit dicht. „Der Herzmuskel wurde nicht mehr mit Blut versorgt.“ Die zweite Arterie war nur noch zu 20 Prozent offen und die dritte so akut mit Plaque verstopft, dass es den Infarkt auslöste.

„Sie haben mächtig Massel gehabt, dass Sie so schnell im OP gelandet sind. Stellen Sie sich nur mal vor, Sie wären gestern im Wald gewesen. Das hätte unter Umständen viel zu lange gedauert bis ..“

„Ich war vorgestern im Wald,“ sag ich, fast ein bisschen empört. Tief im Wald, mit dem Hund, Stöckchenwerfen.

„Na, sehen Sie.“ (Große Augen.)

*

Als ich noch im Klinikum lag, rief Karlos zwei Mal zu Hause an und hinterliess kurze Nachrichten auf der Mailbox, jeweils gegen 19 Uhr. Er hatte keine Ahnung, was passiert war, dass ich im Krankenhaus lag. Er forderte mich auf, alles stehen und liegen zu lassen und in Turnschuhen und Trainingshose, „hast du noch die alte blaue von adidas?“, runter zum Käfig zu kommen, eine halbe Stunde kicken. „Ich bin seit gestern wieder im Training. Los, Glumm, mach hin, ich bin in fünf Minuten im Käfig.“

Sanne hörte die Nachrichten ab und war sich nicht sicher, ob sie Karlos zurückrufen solle, ob mir das recht wäre.

„Nee, lass mal. Ich rufe Karlos selbst an.“

*

„Ich konnte nicht zum Käfig kommen“, sagte ich ein paar Tage später am Telefon zu Karlos, „ich hatte einen Herzinfarkt.“

Und dann erzählte ich ihm, was passiert war an diesem 10. Mai 2012. Erzählte ihm vom Sofa in den Gemeinderäumen der Evangelischen Stadtkirche, im Untergeschoss, wohin ich geflüchtet war, als ich mir in der Innenstadt, genauer: am Fronhof, nicht mehr zu helfen wusste, mit diesem elenden Getrampel in der Herzgegend, mit Frau Moll an der Leine, mit dieser scheiß Angst zu sterben, und doch: wie seltsam kühl mich alles liess. Fast ein wenig.. lästig.

(Diese überraschend alltäglichen Gedanken, die mich beherrschten, als der Tod schon anklopfte: wohin mit dem Hund, wenn der Krankenwagen kommt, obwohl mir doch klar war, dass gerade etwas schlimmes in meinem Körper vorging. Denkt man nur alltägliches Zeugs.)

Ich erzählte Karlos von den Minuten auf dem Sofa, dem Warten auf den Rettungsdienst in den gebohnerten Gemeinderäumen der Stadtkirche, in der Karlos Vater lange Jahre als Küster gearbeitet hat. Wo wir ihn als Teenies oft aufsuchten, weil Karlos einen Schlüssel abliefern sollte, oder weil sonst eine Kleinigkeit zu tun war. Ein Konfirmandenunterricht vorbereiten, Kaffekochen, Kuchen anschleppen.

Können wir noch etwas für Sie tun? fragten die Gemeindeleute, nachdem sie die 110 gewählt hatten, aber ich schüttelte kaum merklich den Kopf und flüsterte: „Nein. Ich hab einen Herzinfarkt. Vielleicht ein Glas Wasser.“

Suche einen Ort, der dir gut bekannt ist, wenn der Tod anklopft mit langen dürren Fingern. Wenn noch Zeit bleibt. Wenn man es sich noch aussuchen kann. Das beruhigt.

Ausgerechnet am Fronhof.

Ich war mit dem Hund auf dem Weg zur Sparkassen-Filiale am Fronhof, bin schnell gegangen, hastig fast, an diesem bleiern-schwülen Vormittag. Bekam plötzlich schlecht Luft. Erst glaubte ich, es wäre das übliche Asthma. Das, was ich immer glaubte in der letzten Zeit, wenn es irgendwo steil bergauf ging. Ich inhaliere zwar seit langem kein Spray mehr, doch wenn ich den steilen Klauberg hochging, um meinen alten Vater zu besuchen, musste ich nach der Hälfte stehenbleiben und pausieren. Und jedes Mal dachte ich: Verdammtes Asthma. Scheiss Kippen. War aber kein Asthma. War das Herz.

Am Fronhof liess ich die Sparkasse links liegen, versuchte Luft in meine Lungen zu lassen. Vorbei am Hähnchengrill, vorbei an der Laderampe des Kaufhof, vorbei am Obststand, an dem Erdbeeren verkauft werden, Erdbeeren aus den Leichlinger Sandbergen. Eine lokale Spezialität.

„Sie auch junger Mann? Eine schöne rote zum Probieren?“

Den Hund an der Leine ging ich über den leeren Platz, der grau schimmerte im Sonnenschein, die fröhliche weibliche Stimme aus den Sandbergen verfolgte mich.

„Möchten Sie auch mal kosten, junge Frau? Nee, nicht zum Sattessen. Ist zum Sattessen zu schade.“

Gelächter, und mir gehts immer schlechter. Das ist kein Asthma, denk ich zum ersten Mal, das ist nicht in der Lunge, das ist in der Brust. Das Herz. Da drin ist alles dünn. Dazu dieses stückweise Hinweggleiten, wie bei einem fremden, gleichwohl bekannten Manöver. O LAND LAND LAND, HÖRE DES HERREN WORT. Ausgerechnet.. am Fronhof.

Und wenn ich ins Krankenhaus muss? Wohin mit dem Hund? Der lässt doch keinen Sanitäter an dich ran.. Der verteidigt dich, auch wenn du erste Hilfe brauchst. Der beisst den Feind weg. Ich lasse mich auf einer der grünen Drahtbänke nieder. Versuche, zu entspannen. Zu relaxen. Auf dem Rücken liegen. Geht nicht. Ein Schulmädchen im Sommerkleidchen, wippende weisse Waden, fröhlich im Gemüt, nehme ich noch aus den Augenwinkeln wahr, als der Tod, die Kanaille, schon den Schlüsselbund hervorzieht, es rasseln lässt.

Ich versuche es mit einer Entspannungsübung wie beim RSV früher, wenn ich nach einem langen Sprint k.o. war: den Rücken durchdrücken, dabei die Arme hinterm Kopf kreuzen. Das entlastet die Lunge. Jetzt nicht. Nichts entlastet mich. Ich bin in ein Stahlkorsett gepresst, das Korsett zieht sich enger zu. Ich kann kaum noch durchatmen. Es ist, als hätte meine Lunge auf magere Schnappatmung umgestellt. Mageratmung. Ist das Sterben? So schmal? So dumpf, so mager?

Mein Bewusstsein schwindet, taucht sekundenweise ab, und immer hektischer werden meine Schritte, gleichzeitig kraftloser. Beinah.. milde. Wind fegt über den grauen leeren Platz. Links die Treppe, wo die Solinger Lieferfrau ihr Denkmal hat, die Stufen runtertaumeln, dann keine 20 Meter bis zum Hintereingang der Stadtkirche. Die Eingangstüren liegen im Schatten, sind geöffnet, ausnahmsweise. Ich geh in den Flur. Im Vorraum lege ich mich auf eine Holzbank, auf den Rücken, es riecht nach Politur. Ich will sterben, sag ich. Wispere ich. Ich will diesem Zustand entfliehen. Dieser Schwäche, die wie ein schweres knochiges Tuch über mich niedergeht.

Ich kauere in der Ecke.

Der Hund, die ganze Zeit dabei, angeleint, blickt mich an. Unsicher. Die Contenance wahrend, mühsam. Jetzt langsam den dunklen Flur hinunter, ich höre Stimmen hinter verschlossenen Türen. Wohin mit dem Hund, wenn der Krankenwagen kommt? Der kann ja wohl kaum mitfahren. Ich kann mich nicht entscheiden, geh den Flur zurück, in den Vorraum. Mit kleinen Schritten. Schwitzend. Das Bewusstsein.. wegrutschend, der Brustkorb ein Barren, dem die Holme wegbrechen. Als hätte ich Tag und Nacht Filterlose geraucht, und jetzt fliegt mir der Laden um die Ohren. Die Schläuche.

Bevor ich alles aus der Hand gebe, falle ich einen Entschluss: du willst nicht sterben, nicht hier. In einer Kirche schon, das geht in Ordnung, an sich, doch nicht in den Gemeinderäumen. Bei Kaffee und Kuchen. Zurück, den dunklen Gang hinunter. Als ich anklopfen will, öffnet sich eine Tür. Schweiss pläddert an mir runter, als käme ich aus einem unbekannten Platzregen. Erschrockene Blicke.

Können Sie den Notarzt rufen? Ich hab einen Herzinfarkt.

*

11 Gedanken zu „Wenn das Herz zusammenkracht

  1. Lieber Glumm, ich wünsche dir alles erdenklich Gute und ein Abflauen der Traumatrigger!

    Ich war auch im Krankenhaus. Das zweite Mal an Brustkrebs erkrankt. Erst fand man einen Knoten, dann am Vorabend zur OP drei weitere. Das war nicht leicht auszuhalten. Jetzt geht es mir wieder ganz gut und ich hoffe, ein Fortschreiten der Erkrankung bleibt aus. Ich will das ruhig mal erwähnen … wer weiß, welche Schicksale sich hinter deinen anderen Lesern verbergen …

    Ich erwähne es aber vor allem, weil du mir auf Schriftstellerart geholfen hast: Es war gut, in der Zeit kurz nach der OP zum klapprigen Krankenhausrechner zu pilgern und deine Texte zu lesen! Danke dafür und weiter so – wenn möglich. Die Funkstille kann ich jedoch auch gut verstehen: Der Schreck und ein eiskaltes So-ist-es-also-Gefühl sitzt in allen Gliedern – da muss man für einige Zeit abtauchen, ganz still und gegenwärtig sein. Nach einiger Zeit habe ich dann gespürt, wie sich die Akkus wieder aufladen. Deine sind hoffentlich auch gerade dabei …

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  2. Wie gedankenlos von mir: selbstverständlich hat man in so einer Situtation keinen Bock auf irgendwelche Blogleser zu reagieren.
    Doch ich freue mich, dass Du schreibst – ergo: es geht Dir besser…

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